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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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mehr Bewegungsfreiheit hast. Deine Hand wird jetzt nur noch nachts angekettet, und morgens kommt das Schloß runter.«
    Wozu die Umstände, wo es doch von nun an keine Nacht mehr gab, weil immerzu Nacht sein würde? Was sollte mir da ein Morgen? Der von heute fiel mir ein und mit ihm die Brotkrumen, das Hühnerfleisch.
    »Hallo? Sind Sie noch da?« Wie tosende Brandung hallte die eigene Stimme in meinem Kopf wider. Ich hatte mich in ein Meeresungeheuer verwandelt. »Hören Sie mich an, bitte…« Mir war klar, daß ich mich aufführte wie ein Kind, aber mir blieb keine andere Wahl. Er mußte das Fleisch für mich verschwinden lassen, denn ich hätte ja nicht einmal mehr das Versteck wiedergefunden.
    »Ich muß gehen. Es gibt noch so viel zu tun, und die anderen können jeden Moment zurück sein.«
    »Erst müssen Sie mich anhören!« Die anderen waren also gar nicht da! Ich mußte ihn unbedingt rumkriegen.
    »Da liegt etwas irgendwo rechts hinten, in Toilettenpapier eingewickelt.«
    Er fand es! Als ich im Schlafsack lag, beugte er sich dicht über mich und raunte mir zu: »Das Zelt mußt du immer sauberhalten. Glaub mir, es ist zu deinem Besten.« Alles hier geschah zu meinem Besten. »Oder willst du die Ratten anlocken? Weißt du, was passiert, wenn die dich im Schlaf überraschen? Erst pinkeln sie dich an, weil ihr Urin eine betäubende Wirkung hat, und dann können sie dich annagen, ohne daß du aufwachst. Ich hab das bei Pferden erlebt, hab gesehen, wie sie denen das Fleisch in dicken Brocken von den Beinen gefressen haben. Damit dir das nicht passiert, muß das Zelt sauber bleiben. Und hab keine Angst wegen der beiden Idioten da draußen. Die haben eine Scheißwut im Bauch, weil sie uns eigentlich deine Tochter bringen sollten. Und jetzt haben sie Zoff mit dem Boss. Aber die beruhigen sich schon wieder. Und du versuch zu schlafen, bis es Essen gibt.«
    Ein Nickerchen vor dem Mittagessen. Hygienevorschriften. Alles nur zu meinem Besten.
    Ich fügte mich und blieb liegen, aber das brennende Gesicht, der Druck auf den Ohren, das Dröhnen in meinem Kopf ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Einzig der Gedanke an Holzfällers Eingeständnis konnte mich von meinen Qualen ablenken – und die Vorstellung, meine Caterina könnte jetzt an meiner Stelle sein. Sie hatten sich tatsächlich geirrt, aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, nicht hinsichtlich meiner finanziellen Verhältnisse. Nein, sie hatten mich mit Caterina verwechselt, bloß weil abends normalerweise sie den Hund ausführt und weil wir beide die gleichen langen Haare haben. Dabei liegt Caterina mir schon seit Jahren in den Ohren, ich solle mir endlich einen Kurzhaarschnitt zulegen. Sie behauptet, das würde mir besser stehen und wäre auch eleganter für eine Frau in meinem Alter. Aber ich konnte mich nie dazu durchringen. Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich die Haare lang getragen. Wie erleichtert war ich jetzt, daß ich nicht auf sie gehört hatte! Eine bildschöne Zwanzigjährige wäre vor der Geilheit der Entführer wohl kaum sicher gewesen, während ich offenbar zumindest in dieser Beziehung verschont bleiben sollte. Caterina hat noch nie einen festen Freund gehabt, und auch wenn sie darüber nicht spricht, nehme ich fast an, daß sie noch Jungfrau ist. Ein solches Erlebnis hätte ihre ganze Zukunft zerstört. Sie ist doch so labil! Und für eine Mutter ist es nur natürlich, daß sie sich lieber selbst opfert, als ihr Kind leiden zu sehen. Und ich war immer schon hart im Nehmen. Wenn man diesen Alptraum überhaupt überleben konnte, dann würde ich es schaffen. Daß sich, wenn ich den Kopf stillhielt, zwar nicht das Rauschen abstellen ließ, aber wenigstens der Schmerz erträglich wurde, soviel wußte ich immerhin schon. Das hatte ich dem Holzfäller zu verdanken. Von dem ich im übrigen wußte, daß er mitunter allein hier war. Ich mußte versuchen, ihren Zeitplan auszukundschaften, dann gelang es mir vielleicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen, wenn er wieder einmal allein war. Natürlich mußte ich mich davor hüten, ihn auszufragen.
    Wenn ich ihn nur davon überzeugen konnte, daß ich zwar längst nicht so vermögend war, wie sie offenbar annahmen, daß sie aber alles, was ich hatte, bekommen würden. All die Jahre hatte ich danach gestrebt, mich und meine Kinder vor Not und Armut zu bewahren, doch es gibt nun einmal keine Garantie auf Wohlleben. Jetzt wollte ich nur noch eins: meine Haut retten! Also würde ich mich zum Essen

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