Alta moda
Floskel einfiel, um seine Dankbarkeit angemessen zu tarnen, wechselte er geflissentlich das Thema. »Und die Presse…«
»Die benutzen wir, nicht umgekehrt. Seien Sie nett zu den Reportern. Lassen Sie sich was einfallen und liefern Sie ihnen pro Interview irgendein druckreifes Blabla. Auch die Familie sollte sich tunlichst pressefreundlich verhalten, denn es kommt ein Punkt, wo wir auf die Zeitungsfritzen angewiesen sind. Aber jetzt raus damit, Maestrangelo: Wer steckt dahinter? Wenn es um Entführung geht, ist die Toskana fest in sardinischer Hand, soviel weiß ich auch, aber wer ist es? Sie sind immer so verdammt vorsichtig, und ich respektiere das, aber einen Verdacht werden Sie doch haben?«
»Zwei sogar. Giuseppe Puddu und Salis. Giovanni Salis.«
»Beide auf der Fahndungsliste?«
»Ja. Puddu ist voriges Jahr gleich beim ersten Hafturlaub abgetaucht. Und Salis ist nun schon seit mehr als drei Jahren flüchtig.«
»Schön, ich höre dann hoffentlich morgen wieder von Ihnen.« Fusarri drückte sein fünftes Zigarillo aus und verabschiedete sich.
Als er gegangen war, öffnete der Capitano das Fenster.
»Na, Guarnaccia? Was denken Sie?«
»Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, nicht, wenn wir weiter die königliche Garde stellen müssen… und jetzt sind auch noch zwei von meinen Männern abkommandiert, um ein paar Zeugen aufzutreiben, die heute früh nicht vor Gericht erschienen sind. Als ob wir Mädchen für alles wären. Auf der Wache habe ich im Moment nur noch Lorenzini… was ich damit sagen will, also wir wären im Ernstfall…« Er stockte, als ihm bewußt wurde, daß der Ernstfall ja bereits eingetreten war.
Sie sind immer so verdammt vorsichtig…
Und Fusarri war so verdammt impulsiv. Zum einen redete er viel zu schnell. Ein typisches Nordlicht eben. Und dann seine unorthodoxen Methoden! Für die hatte Maestrangelo nicht nur nichts übrig, er hielt sie nachgerade für eine der sieben Todsünden, und zwar durchaus keine der leichtgewichtigeren. Allein dieser Dreh mit der Telefonüberwachung! Offiziell ging das nur von der Procura aus, wo einem andere Dienststellen ins Gehege kamen, die natürlich nur zu gern mitmischen und dann, im Erfolgsfall, auch ihr Quantum Lorbeeren einstreichen wollten. Ein höchst unbeliebtes Verfahren, aber Vorschrift ist Vorschrift. Um eine Ausnahme, wie Fusarri sie eben angeboten hatte, nachzusuchen, wäre undenkbar gewesen, zumal für einen Offizier wie Maestrangelo, der es mit den Vorschriften so peinlich genau nahm. Wenn er trotzdem auf den Handel einging, dann nur, weil man sich eine solche Chance einfach nicht entgehen lassen konnte. Aber es hatte ihm doch die Sprache verschlagen. Das war eine Spezialität von Fusarri, seine Verhandlungspartner sprachlos zu machen. Und dann dieser Einfall mit der Presse, der der Capitano – wie hatte er sich doch gleich ausgedrückt? – »druckreifes Blabla« liefern sollte: ausgerechnet der Mann, der bei den Florentiner Lokalreportern den Spitznamen ›il sepolcro‹, das Grab, trug. Druckreifes Blabla – was sagt man dazu! Er, der Maresciallo, würde damit ebensowenig dienen können. Woher zum Teufel sollte man wissen, welcher Unfug druckreif war und welcher nicht? Nein, ihr Blabla sollten sich die Journalisten schon selber aus den Fingern saugen, wie sonst auch – es sei denn, der junge Brunamonti konnte ein bißchen Privatkolorit beisteuern, mit Fotos und dergleichen. Daß die Schwester sich auf Interviews einlassen würde, hielt er nach dem ersten Eindruck für mehr als unwahrscheinlich. Vielleicht war der Bruder da aufgeschlossener, vorausgesetzt, man konnte ihn überhaupt zur Zusammenarbeit bewegen… Sogar zwei, hatte der Capitano auf die Frage nach einem Verdächtigen geantwortet. Schon bevor die Täter ihre Karten aufdeckten, konnte man in einem Entführungsfall davon ausgehen, daß mindestens ein – in der Regel polizeilich gesuchter – Profi als Drahtzieher fungierte. Denn dank der neuen Gesetzgebung war Entführung ein so kompliziertes Geschäft geworden, daß nur noch die ausgebufftesten Profis eine Chance hatten. Und Profis fielen in der Branche nicht vom Himmel; ihr Werdegang war bekannt und aktenkundig, und sofern sie nicht untergetaucht waren, konnte man sie überprüfen. Zwei Verdächtige. Zwei polizeilich gesuchte Männer, jeder unterstützt von einer Bande von Komplizen und, schwerwiegender noch, in seinem eigenen Revier verschanzt, wo er relativ risikolos agieren konnte.
Von allen Kirchtürmen
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