Alta moda
Maresciallo!«
»Guten Morgen.«
»Ihr Rekrut war heute schon da.« Eine Frage, als Auskunft getarnt. Die jungen Carabinieri im Pitti wechselten sich täglich mit Einkaufen und Kochen ab. Aber der Maresciallo bewohnte ein Privatquartier und nahm die Mahlzeiten gemeinsam mit Frau und Kindern ein. Also war er wohl dienstlich hier, oder…? Als Guarnaccia keine Erklärung anbot, wandte sich Torquato, ein Knirps mit knöchellanger Schürze und Pudelmütze, die er zum Schutz vor dem Wind tief über die Ohren gezogen hatte, wohl oder übel wieder seinen Kunden zu.
»Nein, wirklich, Torquato! Der Salat sieht aber heute gar nicht gut aus.«
»Ja, was erwarten Sie denn bei der Kälte? Und überhaupt – wollen Sie ihn als Hochzeitsstrauß oder zum Essen? In Ihrem Magen ist es duster, glauben Sie mir. Aber bitte, da war noch ein Bund Petersilie, eine Handvoll Möhren und ein Sellerie für die Sauce…«
Mit der Dunkelheit in ihren Mägen hatte Torquato sich, solange man denken konnte, bei seinen Kunden herausgeredet, wenn sie das kümmerliche Grünzeug bemäkelten, das er täglich vom Land hereinkarrte. Der Maresciallo wartete ab, bis Torquato frei war. Dann tat er, um nicht aufzufallen, so, als prüfe auch er mit kritisch gesenktem Blick die windzerzausten, welken Salatköpfe.
Torquatos prüfender Blick war auf den Maresciallo gerichtet. »Sie kommen wegen der Contessa, nicht wahr?«
»Was weißt du?«
Torquato zuckte die Achseln. »Sonst kam sie fast täglich hier vorbei, und ihre Näherinnen kauften ihr Gemüse bei mir, aber seit über einer Woche habe ich von den Brunamontis keinen mehr zu Gesicht gekriegt. Ihr Sohn, der Leonardo, war immer für einen Scherz zu haben – auf einmal macht er sich rar. Und ihr Auto, das ich sonst jeden Tag von meinem Stand aus sehen konnte, steht plötzlich auch nicht mehr auf dem Hof.«
»Und was erzählt man sich auf der Piazza?«
»Daß sie entführt wurde. Aber die wollen das vertuschen, wie?«
Hinter dem kleinen Verkaufsstand und vorbei an den kahlen Hecken, die sich zwischen den hohen Alleebäumen entlangzogen, trat der Maresciallo auf den offenen Platz hinaus. Links neben dem schmucklosen, ockerfarbenen Kirchenschiff blieb er stehen und spähte zum Palazzo Brunamonti hinüber. Die mächtigen, mit schmiedeeisernen Beschlägen verzierten Torflügel des Hauptportals standen offen, und am Ende der langgestreckten, dunklen Einfahrt lockte ein helles, lichtes Farbenspiel, wie ein angestrahltes Gemälde. Strikte Abgrenzung gegen die Außenwelt war ein architektonisches Merkmal dieser Renaissancepaläste, an deren Gärten, Springbrunnen, Statuen und Fassadenschmuck die Besitzer sich allein und ungestört ergötzen wollten. Eine Einstellung, die den Maresciallo stets befremdet hatte, aber so waren sie eben, die Florentiner… Wie sie genau waren, dafür fehlten ihm immer noch die Worte, obwohl er nun schon seit zwanzig Jahren unter ihnen lebte.
Olivia Birkett… eine Schönheit, die überall Aufsehen erregte… Der Maresciallo erinnerte sich an ihre berükkenden grünen Augen und an ein Paar schier endlos langer Beine. Und ihm fiel ein, daß sie damals oft einen kleinen Jungen bei sich gehabt hatte. Aber ein Mädchen… nein… war vielleicht noch nicht geboren zu der Zeit. Hoffentlich hatte er sich ihren Namen notiert, denn auf den konnte er sich beim besten Willen nicht mehr besinnen. Olivia Birkett war auch keine Florentinerin, wie also hatte sie sich hier zurechtgefunden? … Eine Promenadenmischung. Ein kleiner Pinscher mit rötlichblondem Fell, der dort oben hinter den braunen Fensterläden saß und auf den ummauerten Garten hinunterspähte. Der wahrscheinlich nicht mehr am Leben war, weil sein Gebell den Entführern hätte gefährlich werden können… Zerstreut bemerkte der Maresciallo ein kleines Mädchen im rosa Skianzug, das so selbstverständlich mit seinem Dreirad um ihn herumstrampelte, als gehörte die reglose schwarze Gestalt ebenso zu dem Platz wie Ridolfis weißes Marmordenkmal gegenüber oder wie der Springbrunnen in der Mitte.
Von der Loggia im Obergeschoß des Palazzo Brunamonti hatte man bestimmt einen schönen Blick auf die Piazza, konnte bei Tage über die Baumkronen, des Nachts über die bauchigen Straßenlaternen bis zur Kirche sehen; und aus den Fenstern links oben, deren Läden alle geschlossen waren, wohl gar bis hinunter zum Arno. Drei Hunde jagten einander mit übermütigen Kapriolen über die Piazza, ohne sich im geringsten um die aufgebrachten Rufe
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