Alta moda
sie den Conte, gleich hier gegenüber, in der Kirche von Santo Spirito – den unterirdischen Gang vom Palazzo zur Sakristei, den gab es heute noch – die Brunamontis waren Guelfen, und die brauchten im Mittelalter, wann immer die Ghibellinen Oberwasser hatten, einen schnellen und sicheren Fluchtweg. Gleich nach der Hochzeit fing das Elend an. Die junge Frau hatte ein schönes Stück Geld mit in die Ehe gebracht, aber Sie können sich ja denken, was damit geschah… Der Kunstfimmel war noch vergleichsweise harmlos gewesen, doch danach spekulierte er an der Börse, und das wurde sein Ruin. Genausogut hätte er das Geld zum Fenster hinauswerfen können: Erst ging sein Vermögen dabei drauf, dann das ihre. Sie war von Natur aus ein optimistischer Mensch, rührig und tüchtig, und nach allem, was sie durchmachen mußte, hat sie sich ihren Erfolg weiß Gott verdient. Irgendwie schaffte sie es immer, die Familie über Wasser zu halten, sei es, daß sie einzelne Trakte des Palazzos verpachtete, sei es, daß sie ein verfallenes Landgut der Brunamontis renovieren ließ und an Touristen vermietete. Leider verfiel der Conte auf immer neue, immer abenteuerlichere Experimente, in die er investierte. Ständig entdeckte er neue Talente an sich, die zu fördern äußerst kostspielig war. Einmal, ich erinnere mich noch gut, kaprizierte er sich auf die Renaissancemusik. Er gründete ein kleines Ensemble und kaufte lauter antike Instrumente. Und das Komische daran ist: Ich glaube, das Orchester existiert immer noch – nachdem sie ihn los waren, haben die sich richtig rausgemacht. Er konnte nämlich gar nicht spielen, verstehen Sie? Aber da er sich für ein Genie hielt, dachte er, das würde ihm schon irgendwie zufliegen. Und in dem Stil ging’s weiter. Wenn er keine andere Möglichkeit mehr hatte, an Geld zu kommen, belieh er einfach den Palazzo. Und dann ständig die Weibergeschichten. Nicht, daß er ein lustiger Schwerenöter gewesen wäre – o nein! Er hatte immer irgendwelche heiklen Romanzen, verquickt mit geschäftlichen oder künstlerischen Ambitionen – manchmal sowohl als auch. Und nach dem unfehlbar tragischen Ende einer solchen Affäre mußte seine arme Frau jedesmal zusehen, wo sie das Geld für die Tilgung einer neuerlichen Hypothek herbekam. Doch als ihr kein anderer Ausweg mehr blieb und sie auf den Laufsteg zurück mußte, da hat er sie verlassen. Eine Contessa Brunamonti arbeitet nicht für Geld. Sie hatte ihn vor aller Öffentlichkeit kompromittiert.
Irgendwann muß sie sich die Verfügungsgewalt über das Familienvermögen verschafft und durchgesetzt haben, daß die Banken ihm die Kredite sperrten. Was nicht leicht gewesen sein dürfte, denn die Bankiers waren sicher ganz versessen darauf, eines Tages eine Immobilie wie den Palazzo Brunamonti zu kassieren. Mit dem Conte ging es von da an rasch bergab. Ein paar Freunde borgten ihm zwar noch Geld, aber das hielt nie lange vor. Als er gänzlich mittellos war, nahm eine frühere Geliebte ihn bei sich auf und kümmerte sich um ihn, bis sie irgendwann erkrankte und in ihre Heimat nach England zurückkehrte. Er blieb in ihrem Appartement wohnen, und als der Hauseigentümer ein Jahr lang keine Miete mehr bekommen hatte und niemand auf Briefe, Telefonanrufe und Türklingel reagierte, da ließ er die Wohnung aufbrechen. Er war angeblich schon seit einer ganzen Weile tot. Der stark abgemagerte Leichnam war von Ratten angenagt, von Maden und Ameisen befallen. In der ganzen Wohnung fand sich nichts Eßbares. Er war übrigens nicht im Bett gestorben, sondern an seinem Schreibtisch, über den Notizen und Aufzeichnungen zum letzten seiner zahllosen genialen Projekte. Die Presse hat nie Wind davon bekommen, aber als die Putzfrau, die die Wohnung in Ordnung bringen mußte, seine wenigen Habseligkeiten bei der Contessa ablieferte, fand sich darunter eine noch ungeöffnete Schatulle von Pineider, der vornehmsten Schreibwarenhandlung in Florenz. Auf bedruckten Briefbögen, Umschlägen und edlen Visitenkarten empfahl sich – in englischer Sprache – der Graf Ugo Brunamonti als Exporteur erlesener italienischer Weine. Von den angegebenen Telefonnummern gehörte eine zu der kleinen Wohnung, in der er starb; die andere mit USVorwahl, war, wie sich herausstellte, die Nummer seiner Schwiegermutter. Natürlich wußte die alte Dame von nichts, da diese Weinfirma in Wirklichkeit gar nicht existierte. Die Contessa beglich anstandslos die Rechnung von Pineider und die ausstehenden
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