Alta moda
der die Stadt alle ansässigen Künstler aufgerufen hatte, einen Fassadenschmuck für das vom Architekten roh belassene Außengemäuer zu gestalten, und davon, wie in einer lauen Sommernacht alle eingereichten Entwürfe nacheinander auf die Kirche projiziert worden waren. Was für ein Schauspiel! Waren eben andere Zeiten damals, unter einem kommunistischen Bürgermeister… »Und der hieß wie?«
»Der kommunistische Bürgermeister? Gabbuggiani. Das war wohl vor Ihrer Zeit, aber die Idee stammte eigentlich von…«
»Ich meine den verstorbenen Conte. Den, dessen Vater sich Professor nannte, den Taugenichts.«
Der so wieder auf Kurs gebrachte Giorgio legte nun richtig los. Und er wußte eine Menge zu erzählen. Wenn in einer Familie jemand entführt, ermordet oder vermißt wurde, dann gab es aus der Sicht des Maresciallos nur eine Möglichkeit, sich ein klares Bild von dem Betreffenden zu machen, und zwar indem man den Rest der Familie durchleuchtete. Die Leerstelle, die dann übrigblieb, war so ziemlich alles, was man über das Opfer in Erfahrung bringen konnte. In diesem Fall wollte der Maresciallo soviel wie möglich über das Opfer erfahren. Seinem Capitano gegenüber hätte er dafür ermittlungstechnische Gründe angeführt. Vor sich selbst begründete er es damit, daß eine Geisel mit ihrer Freilassung nicht unbeschadet in den Alltag zurückkehrt, sondern lebenslange Betreuung braucht. Der wahre Grund war ein kleiner rötlichblonder Köter. Aber das hätte er niemandem erklären können.
Also hörte er sich die Geschichte des Conte Ugo Brunamonti an, Gatte eines amerikanischen Mannequins, Sohn des Conte Egidio Brunamonti, genannt il professore – die Geschichte eines Mannes, der mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen und den Hungertod gestorben war.
Er war, nach allgemeinem Bekunden, ein bildschönes Kind gewesen, ein Knabe mit flachsblondem Haar und braunen Augen, dabei aber irgendwie absonderlich. Von denen, die Genaueres über diese Absonderlichkeit hätten sagen können, war keiner mehr am Leben. Er hatte ein Jesuitenkolleg besucht, war wegen nicht näher benannter Laster relegiert worden und hatte sich daraufhin der Kunst verschrieben. Hatte für die Präsentation seiner Werke eigens eine Galerie gekauft und den BrunamontiPreis für Bildhauerei gestiftet, mit dem er erst sich selbst und dann seine erfolglosen Künstlerfreunde auszeichnete. Dieser Preis, der übrigens – wie viele seiner Art – immer noch in jährlichem Turnus verliehen wurde, bestand aus einem schweren, in Basrelief gearbeiteten Orden, der in blausamtener Schatulle präsentiert und dessen Herstellungskosten aus den Teilnahmegebühren für den Wettbewerb finanziert wurden. Eine ältliche Prinzessin mit prächtiger Villa, ansehnlichem Einkommen und moderaten Ambitionen auf einen literarischen Salon lud nach der Preisverleihung im Juni alljährlich zu einem Galaempfang in ihren Garten. Ein gesellschaftliches Ereignis, das regen Zustrom fand, auch wenn die Gäste den Anlaß häufig gar nicht kannten, sondern einfach kamen, weil der Garten noch prächtiger war als die Villa und weil die Terrasse, auf der das Diner serviert wurde, an einem schönen Juniabend in Rosenduft und Mondschein badete. Seitens der Brunamontis hatte einzig die Tochter genügend Sinn für Familienpflicht und -tradition, um alljährlich an dem Fest teilzunehmen. Der Sohn Leonardo hatte sich nie dort blicken lassen. Freilich hatte die Tochter auch einmal mit der Kunst geliebäugelt, aber die Phase war schon seit geraumer Zeit vorbei, und wenn sie trotzdem weiter zu den Galas ging, dann ließ sich das wohl nur durch ihren Familiensinn erklären. Nein, den Preis hatte sie selber nie bekommen.
Er war ein sehr stattlicher Mann gewesen, der Conte Ugo, das ließ sich nicht leugnen, und man konnte sich unschwer vorstellen, wie er diese reizende junge Amerikanerin betört hatte – mit seiner blendenden Erscheinung, seinem Titel und diesem kostbaren alten Herrschaftssitz. Einmal hatte sie Giorgio erzählt – doch, ja, sie kam auch hin und wieder auf einen kleinen Imbiß in sein Lokal, spätabends, in der hektischen Endphase unmittelbar vor einer Modenschau, meist zusammen mit ihrem Sohn und vielleicht noch einem der Designer –, und an so einem Abend hatte sie einmal erklärt, das älteste Gebäude in ihrem Heimatort, das sei die Tankstelle gewesen! Ob das wirklich stimmte oder nur ein Scherz sein sollte, wußte Giorgio nicht zu sagen. Jedenfalls heiratete
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