Alta moda
Mietbeträge. Doch danach ging es monatelang so weiter: Vom Schneider über den Schuster bis zum Weinhändler – getrunken hat der Conte seinen Phantasiewein natürlich nicht – bedrängte man sie mit Zahlungsbefehlen, und sogar die Jahresmiete für ein Büro, das er sich eingerichtet, aber schon seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt hatte, wurde bei ihr angemahnt. Die Contessa zahlte nicht nur, sie schickte auch eigens ihr Mädchen zum Großreinemachen hin, damit bei der Schlüsselübergabe nichts zu beanstanden wäre. Wobei zu dem ›Großreinemachen‹ gewiß auch die Beseitigung weiterer Indizien seiner Torheit gehörte. Es war ein trauriges Kapitel. Man fand ein ganz passables Zimmer vor, mit Blick über ein rotes Dächermeer bis hin zur Domkuppel. Die Einrichtung bestand aus Schreibtisch nebst Sessel, einem Telefon, das nicht angeschlossen war, und einer ledernen Schreibtischgarnitur, die dem Professor gehört hatte und die das Mädchen mit nach Hause brachte. Das wahrhaft Unfaßbare aber ist, daß der Conte den Inhabern der übrigen Büros in dem Gebäude bis vor Jahresfrist regelmäßig begegnet war, er also reguläre Bürostunden in einem regulären Büro eingehalten hatte, um dort seinen imaginären Geschäften nachzugehen. Das war noch vor dem Weinimport – er befaßte sich damals angeblich mit Antiquitäten, wie das Messingschild an seiner Tür belegte. Zu der Zeit lebte er noch mit seiner früheren Geliebten zusammen, die er zweifellos in dem guten Glauben ließ, er würde jeden Morgen brav zur Arbeit gehen. Er hatte eben die Gabe, imposant auftreten zu können, und bewahrte sich auch sein gutes Aussehen, bis sie ihn verließ und buchstäblich dem Hungertod überantwortete. Als alle Schulden Brunamontis getilgt waren, machte die Contessa – die ihren Titel nur noch für ihre Kollektionen benutzte – bald ihr Glück in der Modebranche. Sie war fleißig und talentiert, und die Banken, die über Jahre hinaus verfolgt hatten, wie es ihr, allen Erwartungen zum Trotz, immer wieder gelang, den Familienbesitz zu retten, setzten absolutes Vertrauen in sie und gewährten ihr großzügige Finanzierungshilfen. Und mittlerweile war die Collezione Contessa nicht nur in Europa ein Begriff, sondern hatte sich auch in den USA und Japan durchgesetzt.
»So, Maresciallo, werden Sie mir jetzt sagen, was passiert ist?«
»Oh, ja, ja, wenn ich wiederkomme. Jetzt muß ich nämlich erst mal auf einen Sprung in den Palazzo.«
Als er im Vorraum an der Theke vorbeikam, stellte ein Kellner gerade etliche Karaffen Rotwein auf dem Glastresen bereit. Und als ihm der unverwechselbare Duft von krossem Schweinebraten, Röstkartoffeln und würzigen Kräutern in die Nase stieg, da befiel den Maresciallo ein wahrer Heißhunger. Doch nach einem Blick auf seine Uhr verließ er das Lokal und betrat, die Mütze in der Hand, den Palazzo Brunamonti.
4
Der Maresciallo trottete langsam die düstere Einfahrt hinauf, bis er, vorbei an einem mit Brettern vernagelten Pförtnerhäuschen, in einen abgeschiedenen Garten kam, wo leise ein Springbrunnen plätscherte und an den ockergelben Mauern der Winterjasmin blühte. Rings um den steinernen Brunnensockel setzten vor dem Bergwind geschützte Krokusse gelbe und violette Farbtupfer, und die Spatzen, die fröhlich tschilpend dazwischen herumhüpften, vervollständigten das idyllische Bild. Der Maresciallo hob den Kopf und sah, daß selbst hier im Innenhof nur zwei der hohen braunen Fensterläden nicht geschlossen waren. Ihm schien diese Ruhe nicht geheuer.
»Suchen Sie jemanden?«
Er wandte sich um. Am anderen Ende des Säulengangs zu seiner Linken stand in einer offenen Glastür eine mollige Frau mit grauem Haar. Der Maresciallo ging auf sie zu.
»Wenn Sie mir vielleicht den richtigen Aufgang zeigen könnten… Ich möchte Leonardo Brunamonti sprechen oder vielmehr den Conte…«
»Schon gut, er führt den Titel nicht. Aber ich weiß nicht… es geht ihm gar nicht gut…« Sie warf einen Blick zurück in die dämmrige Halle. »Kommen Sie doch erst mal mit rein.« Er folgte ihr in einen auffallend hohen Raum, vielleicht die ehemalige Kutschenremise, jedenfalls sicher nicht für Wohnzwecke erdacht. Das matte Licht, das vom Hof hereinfiel, war eine Wohltat für die von ständiger Sonnenallergie bedrohten Augen des Maresciallos. Doch die vielen Menschen, die hier beschäftigt waren, brauchten jeweils einen Strahler für ihre Nähmaschine, den Zuschneidetisch oder die Schneiderpuppe, an der sie
Weitere Kostenlose Bücher