Alta moda
probeweise ein neues Modell drapierten. Das emsige Surren der Nähmaschinen verstärkte noch den Eindruck, unversehens in einen Bienenstock geraten zu sein, in dem fleißig gearbeitet wurde. Als freilich die massige Silhouette des Maresciallos den Türrahmen verdunkelte, lief das Räderwerk auf einmal merklich langsamer und kam schließlich ganz ins Stocken. Auch wenn er nicht wußte, wie man sein Erscheinen aufnahm, spürte er doch, daß die Reaktion einmütig war. Blicke und Atemrhythmus, alle Regungen waren unverkennbar aufeinander abgestimmt. Ein Informant… jemand, der die finanziellen Verhältnisse der Familie kannte und ihre Gewohnheiten. Im Moment hätte der Maresciallo seinen Kopf dafür verwettet, daß man diesen Jemand hier vergeblich suchen würde. Mit welchem Recht er sich dann hier umschaute… nun, er hatte schließlich nach dem Weg fragen müssen, nicht wahr? Diese Leute zu vernehmen, war freilich nicht seine Aufgabe. Das blieb einem Ranghöheren – vielleicht sogar dem Staatsanwalt persönlich – vorbehalten. Der Maresciallo stellte denn auch keine Fragen.
»Ich bin Signora Verdi, Mariangela Verdi. Und ich sage Ihnen lieber gleich, daß wir keine Ahnung haben, was hier vor sich geht, aber was immer es ist: Wir sind bereit zu helfen.«
»Ich danke Ihnen.«
»Geschenkt. – Wir tun es nämlich nicht für Sie, sondern für Leonardo.«
»Macht das einen Unterschied?«
»Wie soll ich Ihnen darauf antworten, solange wir nicht wissen, worum es geht? Oder sind Sie gekommen, um uns aufzuklären?« Sie hielt inne und nahm ein Päckchen in Empfang. »Entschuldigen Sie…«
»Aber bitte.«
Er sah zu, wie sie den kleinen Karton auswickelte. Er enthielt ein Sortiment weißer Stoffetiketten, mit golddurchwirkten Kursivlettern bestickt. Contessa las er und darunter, links am Rand, Firenze.
Unwillkürlich drängte sich dem Maresciallo der Vergleich zu dem luxuriösen Geschäftspapier und den prächtigen Visitenkarten des übergeschnappten Gatten auf, des Conte Ugo Brunamonti mit seinem imaginären Exporthandel für italienische Spitzenweine.
»Darf ich…?« Der Maresciallo nahm eine der Etiketten in die Hand.
»Nur zu. Daran sehen Sie, wie wir im Rückstand sind, wenn die Dinger kommen, bevor wir sie brauchen, statt daß wir den Lieferanten Feuer unterm Hintern machen. Ursprünglich hatten wir silberne Schrift auf schwarzem Grund, aber dann ist so ein Billighersteller hergegangen und hat unsere Kreationen samt Etikett kopiert. Da mußten wir uns notgedrungen was anderes einfallen lassen.
Ich finde ja, daß Contessa Brunamonti drauf gehört und nicht bloß Contessa – mit Namen hätte man ihre Modelle nicht so leicht fälschen können –, aber ›Ihro Gnaden‹ waren strikt dagegen, und so wurde nichts draus.«
»Wär vielleicht ein bißchen zu lang geworden«, brummte der Maresciallo, der sich wunderte, daß die Frau von ihm eine Meinung zu diesem Thema zu erwarten schien. Mehr noch wunderte er sich freilich über den Ton, in dem sie ›Ihro Gnaden‹ gesagt hatte. Der hatte nachgerade gehässig geklungen und war mit einer bloßen Meinungsverschiedenheit über Markennamen kaum zu rechtfertigen. Sollte sein Instinkt ihn denn in der Einschätzung dieser Leute so sehr getrogen haben? Sobald man sie vernommen hatte, wollte er mit dem Capitano darüber sprechen. Irgend etwas war da oberfaul.
Wie groß der Betrieb wohl sein mochte? So viele Augenpaare, und alle auf ihn gerichtet. Es roch nach neuen Stoffen und Nähmaschinenöl, ein Geruch aus seiner Kindheit, der ihm die klapprige alte Tretkurbelmaschine seiner Mutter in Erinnerung rief.
Laß mich auch mal, bitte… Du wirst mir die Nadel abbrechen.
»Aha! Von Ihnen erfahren wir also gar nichts«, konstatierte die Frau, als sie ihn wieder hinausführte.
»Es kommt schon noch jemand zu Ihnen. Ich bin nicht befugt… Die Treppe rauf?«
»Nehmen Sie den Aufzug. Zweiter Stock.« Sie drückte noch für ihn auf den Fahrstuhlknopf, dann ließ sie ihn stehen.
Der Flur im zweiten Stock war mit weißglänzendem Marmor ausgelegt. Der Maresciallo drückte auf die Messingklingel neben der Flügeltür gegenüber vom Lift. Dem philippinischen Dienstmädchen im blau-weiß gestreiften Kleid, das ihm öffnete, liefen schon die Tränen übers Gesicht, und als sie seine Uniform sah, brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus und rannte davon, ohne ihn hereinzubitten.
Schon im nächsten Augenblick stand eine hochgewachsene Blondine vor ihm – die Tochter des Hauses
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