Alta moda
Brunamonti ins Gedächtnis, den Zeitungsartikel, die Dunstglocke, die sich über den dunklen Berggipfeln zusammenzog. Er trank noch einen Schluck Wein, spürte die Hitze, die der Herd abstrahlte, und ein Frösteln überlief ihn.
»Wenn sich allerdings herausstellen sollte«, fuhr Bini fort, »daß ein anderer dahintersteckt, dann wäre er aus dem Schneider. Ich fürchte nur, es könnte bereits zu spät sein. Wir rechnen nämlich damit, daß sie womöglich schon tot ist, und in diesem Fall…«
Bei diesen Worten beobachteten beide gespannt das Gesicht der Frau, aber ihre Mimik war ebenso sparsam wie ihre Worte. Bini blieb nichts anderes übrig, als noch eins nachzulegen.
»Wir haben die Hoffnung aufgegeben, daß uns ein Informant weiterhelfen könnte. Puddus Komplizen trauen sich nicht, das Maul aufzumachen, und wir respektieren die Verschwiegenheit der Orgoleser. Der Maresciallo und ich, wir dachten nur, Ihr Mann sollte Bescheid wissen. Wir respektieren ihn, aber Puddu tut das offenbar nicht. Vielleicht denkt er, weil Ihr Mann in die Jahre kommt, könnte er…«
»Kommen Sie übermorgen wieder.«
»Bedenken Sie, Signora, die Zeit drängt. Wenn Sie sagen, ich soll wiederkommen, dann komme ich, aber niemand garantiert dafür, daß die Geisel übermorgen noch…«
»Kommen Sie übermorgen wieder.«
Sie hielten sich streng an die Anweisungen. Als der Jeep sich den markierten Feldweg an einem holprigen Steilhang hinaufarbeitete, wurden sie so kräftig durchgerüttelt, daß es auch nichts half, sich haltsuchend an die Dekkenstreben zu klammern. An der Stelle, wo, schon in beträchtlicher Höhe, eine Astgabel quer über dem Pfad lag, hielt Bini an, und sie stiegen aus. Schweigend setzten sie ihren Weg zu Fuß fort. Nur einmal brummte Bini, als er stehenblieb, um sich zu schneuzen: »Ich hab Fieber, ich sollte nicht hier oben herumkraxeln…«
Sie gehörten beide nicht hierher. Schlimmer noch: Sie wußten nicht, was Salis tun würde, und wie immer das Abenteuer ausging, man würde sie dafür verantwortlich machen. Sie hatten sich in Salis’ Hand gegeben. Trotz der kühlen Höhentemperatur und ungeachtet des feinen Nieselregens, lief dem Maresciallo der Schweiß über den Rücken. Gleichzeitig bekam er eine Gänsehaut bei dem Gedanken an die Späheraugen und die Gewehrläufe, die womöglich auf ihn und seinen Begleiter gerichtet waren. Damit nicht genug: Da es bereits dämmerte, sorgte er sich auch noch darum, ob und wie sie nachher im Dunkeln den Rückweg finden würden.
Konnte es wirklich so weit sein? Hatten sie eine Markierung übersehen? Nein, da war sie, nicht weit vor ihnen: ein weißer, an einen Dornbusch geknoteter Stoffetzen. Sie bogen in einen Waldweg zur Rechten ein und folgten ihm etwa eine halbe Stunde, bis der nächste weiße Lappen sie nach links abzweigen hieß. Von Weg konnte man fast nicht mehr sprechen bei diesem kaum erkennbaren, dornigen Trampelpfad durchs Dickicht. Spitze Zweige bohrten sich in ihre wattierten Jacken, sie mußten immer wieder anhalten und sich von lästigen Dornen befreien. Als sie endlich die von dem vierten und letzten Zeichen markierte Lichtung erreichten, war es fast finster geworden. Die beiden Männer warteten stumm. Nicht, daß es ihnen verboten gewesen wäre, sich zu unterhalten, sie brachten nur kein Wort heraus. Sie standen und ließen sich von der Dunkelheit einhüllen, bis einer den anderen nicht mehr erkennen konnte.
Als die Stimme zu sprechen begann, klang sie ganz nahe, doch es wäre mehr als töricht gewesen, sich nach ihr umzudrehen. Sie riskierten eine Menge, aber ihr Leben setzten sie nicht aufs Spiel. Sie konnten darauf vertrauen, daß Salis sein Wort halten würde, doch sie wußten auch, daß eine unbedachte Bewegung, eine plötzlich aufblitzende Taschenlampe, ein heimlich eingeschleuster Dritter ihren Tod bedeutet hätte. Also standen sie und lauschten reglos.
»Morgen abend wird eine Frau auf Ihrem Revier anrufen und einen versuchten Mopeddiebstahl melden. Sie wird sagen, es sei direkt vor ihrem Haus passiert. Ein Mann sei so plötzlich auf die Straße gerannt, daß das Moped scharf bremsen mußte und ins Schleudern geriet. Der Mann habe den Fahrer, der eine Einkaufstasche über dem Lenker hängen hatte, angegriffen, und die beiden hätten lange miteinander gerungen. Während des Kampfes habe sie einen zweiten Mann gesehen, der sich über das Moped gebeugt habe, als wolle er es stehlen. Dieser Mann wird zerstoßene Schlaftabletten in die alte
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