Alta moda
Bruder, der ihr einmal so behutsam den Arm gestreichelt hatte, um sie zu besänftigen, der mit fast schmerzlicher Fürsorge zu verhindern suchte, daß sie dem Vater nachschlug. Man durfte nicht erwarten, daß er – noch dazu in einer so traumatischen Situation – seine Ängste und alle Scham überwand, ja sich gegen seine geschwisterliche Liebe entschied.
Trotzdem, wie viele andere hatten Alarmsignale ausgesandt, gegen die der Maresciallo taub geblieben war! Gleich am ersten Tag die Signora Verdi mit ihrem ›Ihro Gnaden waren strikt dagegen‹; dann Nesti mit seiner angewiderten Bemerkung, der Fall sei wohl eher ein raffiniert inszenierter Karriereschub; nicht zu vergessen das ewig heulende Hausmädchen mit seiner nur zu berechtigten Angst um ihr weiteres Schicksal.
Ganz zu schweigen von den Alarmsignalen, die Caterina selbst ausgesandt hatte. Gewiß, sie hatte oft gelogen, aber warum war er nicht stutzig geworden, wenn sie einmal die Wahrheit sagte? Wieso war ihm nicht aufgefallen, wie peinlich sie das Wort Mutter vermied, während sie doch oft und gern von ihrem Vater sprach? Warum hatten ihm Sentenzen wie, ein Mannequin sei nicht mehr als ein Kleiderständer, nicht zu denken gegeben? So vieles an ihr war ihm dermaßen unheimlich gewesen, daß sein Verstand sich einfach ausblendete.
Wenn er überhaupt an den bevorstehenden Einsatz in den Bergen dachte, dann mit dem aufrichtigen Wunsch nach einem glimpflichen Ausgang. Spekulationen über die Durchführung gestattete er sich nicht, die lag in der Hand von Experten, von Männern, die einer solchen Verantwortung gewachsen waren. Er selbst war nichts weiter gewesen als der Mittler zwischen Bini, dessen langjährige Erfahrung, Einsatzbereitschaft und sorgsam gepflegte Kontakte die Operation überhaupt erst möglich machten, und den Männern, die sie ausführen würden. Eine verschwindend kleine Rolle hatte er gespielt, seinem Rang und seinen Fähigkeiten durchaus angemessen, wie er fand, eine, die man im Falle einer schimpflichen Niederlage übergehen und angesichts eines strahlenden Erfolges vergessen würde.
Seine Fehleinschätzung der ›Giftnatter‹, wie die Contessa Elettra Cavicchioli Zelli Caterina genannt hatte, würde er sich freilich noch lange nicht verzeihen. Die Contessa, ja, das war einmal eine Frau, die das Kind beim Namen nannte. Nach dem Gespräch mit ihr hatte er sich nichts mehr vormachen können. Wenn die anderen sich doch nur ebenso deutlich ausgedrückt hätten!
Der Maresciallo erklomm den ansteigenden Freiplatz vor dem Palazzo Pitti und verschwand nach links unter dem steinernen Torbogen. Er hatte fest vor, sich wieder in sein Revier zurückzuziehen und auf den schlichten Alltagskram zu konzentrieren, der normalerweise seinen Dienst bestimmte. Als erstes würde er sich von seinem Stellvertreter Lorenzini berichten lassen, was außer der spektakulären Entführung noch im Viertel los war; dann wollte er sich um die Leute kümmern, die im Warteraum saßen, und falls danach noch Zeit blieb, würde er den aufgelaufenen Papierkram abarbeiten. Egal was dabei herauskam, zumindest würde er sich den Kopf so mit Lappalien vollstopfen, daß auch nicht die kleinste Lücke blieb, durch die sich der Gedanke an die BrunamontiTochter einschleichen konnte. Und ebendieses Bedürfnis nach geregelter Normalität war es auch, was ihn veranlaßte, zu Hause anzurufen und Teresa zu bitten: »Kannst du heute abend Pasta machen?«
Sie lachte ihn aus. »Du hörst dich schon an wie Giovanni!«
»Ich bin wie Giovanni – oder vielmehr, er ist wie ich.« Der Maresciallo war gekränkt. »Vergiß es, war nur so ein Gedanke.«
»Jetzt hab dich nicht so! Ich stell gleich das Wasser auf. Es gibt allerdings nur Tomatensauce, ich hatte nämlich nicht vor…«
»Ich mag Tomatensauce.«
Sein System funktionierte bis nachmittags um fünf. Dann überfiel ihn unvermutet ein Gedanke, bei dem er vor Schreck Bauchkrämpfe bekam: Was, wenn das Mädchen etwas im Schilde führte, was den geplanten Einsatz gefährden könnte? Sie hatte ihn mit dem für Patrick Hines inszenierten Auftritt schockiert, hatte ihn mit dem plötzlich versperrten Tor, dem entlassenen Hausmädchen, dem neuen Pförtner überrumpelt und mit dem Zeitungsinterview in Angst und Sorge gestürzt. Er durfte sie und ihre Machenschaften jetzt nicht um seines Seelenfriedens willen verdrängen. Ihr selber würde er nicht auf den Zahn fühlen, das hatte er dem Capitano versprochen. Also mußte er anderweitig in
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