Alta moda
Nächte um die Ohren zu schlagen.« Aber ihre Stimme klang eher ängstlich als böse, und sie fragte ihn nicht weiter aus, was das denn für ›Eskapaden‹ waren, auf die er sich eingelassen hatte.
Sein schriftlicher Bericht für den Capitano fiel sehr kurz aus und ließ die nächtliche Begegnung in den Bergen unerwähnt. Lediglich von einer Andeutung des Kollegen Bini war die Rede, die vermutlich auf die Information eines anonymen Spitzels zurückging und einen Hinweis auf das Versteck versprach.
Die zu erwartende Diebstahlsmeldung und den Trick mit dem Betäubungsmittel im Wein leitete er nur mündlich weiter. In diesem Gespräch gestand er auch seine heimliche Angst, der Provianteur könne Verdacht schöpfen.
Der Capitano beruhigte ihn. »Wir haben den Jungen seit Wochen beschattet. Er ist höchstens elf oder zwölf, also praktisch noch ein Kind. Außerdem wird er ja nichts vermissen, sondern nur um sein kostbares Moped bangen. Wenn es ihm wirklich gestohlen würde, könnte er das nicht mal melden, da er als Minderjähriger noch gar keine Fahrerlaubnis hat. Nein, nein, der Salis, der weiß, was er tut. Lassen wir ihn für seinen Teil sorgen und konzentrieren uns auf den unseren. Es wird Zeit, die Spezialisten einzuschalten.«
Der Capitano telefonierte umgehend mit dem Sondereinsatzkommando in Livorno. Dort erregte ein so kurzfristiger Auftrag zunächst Bedenken, doch dann stellte man sich der Herausforderung und schlug folgendes Täuschungsmanöver vor: Die Fallschirmjäger sollten mit einem Hubschraubereinsatz über Salis’ Territorium für lautstarke Ablenkung sorgen, im Schutz dieser Tarnmaßnahme würde der eigentliche Einsatzhelikopter das Operationsgebiet ansteuern und, sobald es hell wurde, den neun Mann starken Spezialtrupp mit Richtfallschirmen über einer Lichtung absetzen, die dem markierten Versteck am nächsten lag. Der Capitano brachte seinen Maresciallo nicht mit Fragen nach seinem nächtlichen Abenteuer in Verlegenheit. Er schien nur erleichtert, daß Guarnaccia sich nicht dazu hatte verleiten lassen, den jungen Provianteur festzunehmen. In diesem Stadium war die Versuchung groß, mit einer Verhaftung aus der lähmenden Ermittlungsroutine auszubrechen. Vielleicht ließ sich dadurch das Vertrauen der Familie des Opfers gewinnen – oder zurückerlangen –, genausogut konnte ein solcher Schritt bei den Angehörigen aber auch Zweifel an den Prioritäten der Ermittler wecken. Andererseits hätte ein vermeintlicher Befreiungsschlag die Presse wieder für ein, zwei Tage beschäftigt. Die Öffentlichkeit würde auf ein Geständnis des Provianteurs hoffen, nicht wissend, daß so eine unbedeutende Marionette nicht mehr tat, als täglich eine Tüte mit Lebensmitteln an einem verabredeten Ort zu deponieren, ohne je zu erfahren, wer sie abholte, geschweige denn, für wen sie bestimmt war. Der Capitano und sein Maresciallo trennten sich in der stillschweigenden Übereinkunft, daß diese Unterredung nie stattgefunden habe.
Als der Maresciallo auf dem Rückweg zum Palazzo Pitti den Arno überquerte, quälte ihn nicht nur die Sorge, ob er richtig gehandelt, sondern fast mehr noch der Verdacht, daß er das Vertrauen seines Capitanos nicht gerechtfertigt habe. Vielleicht wäre ihnen die bevorstehende riskante Operation erspart geblieben, wenn er es sich nicht mit dem jungen Brunamonti verdorben hätte. Zum Teil war der Capitano freilich selber schuld, weil er seinen Maresciallo einfach überschätzte. Leonardo Brunamonti war intelligent und gebildet, er hätte dem Capitano gewiß eher vertraut als einem einfältigen Unteroffizier. Und doch, wenn er an ihr erstes langes Gespräch zurückdachte, so war Leonardo damals entwaffnend offenherzig und zutraulich gewesen. Abgesehen davon, daß er ihm nicht die Wahrheit über seine Schwester gesagt hatte. Die Schwester: Damit hatte er den eigentlichen wunden Punkt getroffen! Hier hatte er wirklich versagt. Wie hatte er sich nur so täuschen lassen können, obwohl er doch die ganze Zeit gespürt hatte, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Er hatte sich die endlosen Selbstbeweihräucherungen des Mädchens angehört und ihre nimmermüde Kritik an allen anderen, insbesondere an ihrer Mutter, und wenn er ihr nicht völlig auf den Leim gegangen war, dann war das weiß Gott nicht sein Verdienst. Jedenfalls hatte er sich nicht getraut, sie als das zu sehen, was sie war.
Konnte er es da ihrem Bruder verdenken, daß er die Augen vor der Realität verschloß? Dem
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