Alta moda
Artikel erkennen, wer würde das nicht? Aber Leo hat seine Schwester nicht daran gehindert, dieses Interview zu geben, das ist der springende Punkt. Dabei weiß er, daß sie verrückt ist. Er hätte sie einsperren sollen, bis der ganze Spuk vorbei ist.«
»Das wäre wohl kaum…«
»Zumindest hätte er die Zeitungen warnen müssen. Wieso drucken die so was überhaupt, wenn Sie sagen, es ist so gefährlich? Warum haben Sie’s nicht verhindert?«
»Wir können die Journalisten um Kooperationsbereitschaft bitten, aber für sie geht es in erster Linie um die Auflage, und wir können sie nicht daran hindern, ihre Arbeit zu machen, zumal nichts, was in dem Artikel steht, gegen das Gesetz verstößt.«
»Trotzdem, irgendwas müssen Sie doch unternehmen!«
»Wir tun, was wir können. Wenn Sie nur dafür sorgen, daß diese Zahlung unterbleibt.«
»Das hat der Detektiv auch gesagt. Aber wissen Sie denn überhaupt, ob Olivia noch lebt?«
Es war riskant, aber er brauchte ihre Hilfe.
»Ja.«
»Sie werden doch nicht sinnlos den Helden spielen und mit irgendeinem gewagten Manöver ihr Leben aufs Spiel setzen?«
»Nein, nein!…Außerdem… ihr Leben ist bereits in Gefahr. Aber wir haben die Chance, es zu retten. Eine kleine Chance nur, aber wenn es zu dieser fatalen Teilzahlung kommt, dann wäre auch die verloren.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Der Maresciallo lauschte auf das Knacken der Scheite im Kamin, Kindheitslaute. Das Rudel Hunde auf dem anderen Sofa schnarchte leise in der wohligen Wärme. Caesar mit seinem beträchtlichen Lehngewicht schlief tief und fest an seiner Schulter.
»Also gut!« Die Contessa hatte sich offenbar entschieden. »Ich werde Ihnen helfen. Die Geldübergabe findet nicht statt.«
»Und Sie sind sicher, daß Sie das verhindern können?«
»Und ob! Es ist schließlich mein Geld.«
»Natürlich ist alles, was ich Ihnen gesagt habe, ver…«
»Sie haben mir gar nichts gesagt. Keine Sorge, ich weiß genau, was Sie meinen: ich werde alles, was Sie mir nicht gesagt haben, für mich behalten.«
Mehr konnte der Maresciallo nicht tun. Der Plan stand und fiel damit, daß zwei Menschen Wort hielten. Zwei Individualisten, jeder in einer Bergfeste verschanzt, jeder einem strengen Ehrenkodex verschrieben. Der Maresciallo vertraute beiden rückhaltlos. Seine Rolle war hiermit zu Ende.
Caesar begleitete den Jeep bis hinunter zur Allee. Am Tor machte er kehrt und jagte in langen Sätzen wieder den Hang hinauf.
Es hatte angefangen zu regnen.
11
Bestimmt gibt es überall in der Welt Menschen, die ein Leben lang furchtbar leiden müssen. Ja, da staunen Sie mit Ihren großen, wachsamen Augen, und ich seh’s Ihnen an, daß Sie sich fragen, wieso ich so ruhig, ja sogar heiter bin. Dabei bin ich, ehrlich gesagt, nie sehr tapfer gewesen, was Schmerzen angeht. Als Kind habe ich beim Zahnarzt immer geweint, und jede Impfung war eine Tragödie. Trotzdem wurde dieser wahnsinnige Schmerz, der sich durch den Gehörgang bis ins Hirn zu bohren schien und der mir anfangs so schreckliche Angst einjagte, weil ich dachte, ich würde darüber den Verstand verlieren, trotzdem wurde der zum ganz normalen Bestandteil meines Lebens. Wahrscheinlich ist da ein Schutzmechanismus im Nervensystem eingebaut, der bei ununterbrochen anhaltender Pein die Schmerzschwelle neu justiert. Das heißt, wir werden immun gegen den ständigen Schmerzpegel und reagieren erst wieder auf einen wesentlich stärkeren, einen akuten Anfall. Früher habe ich mich vor Schmerz und Krankheit gefürchtet – am meisten vor Krebs –, aber damit ist es vorbei. Jetzt vertraue ich da ganz auf meinen Körper. Was mir freilich sehr zu schaffen machte, das waren die wund gescheuerten Stellen an Knöchel und Handgelenk, die sich trotz der Salbe des Holzfällers immer wieder entzündeten. Schon weil die Kette so schwer war, daß jede Bewegung weh tat und die Verletzungen nicht heilen konnten. Noch ärger aber war die psychische Qual, denn es gab keinen Grund, mich anzuketten, keinen außer schierer Grausamkeit, der Grausamkeit des Bosses, den ich nie zu sehen bekam.
Und doch konnte die kleinste Freude für Momente alles Leid aufwiegen: die ersten Sonnenstrahlen, die meine Stirn berührten, wenn ich morgens im Zelteingang saß. Wenn ich statt der gewohnten Ration Kaltwasser und hartem Brot ausnahmsweise einen Kaffee bekam, dessen köstliches Aroma sich, vermischt mit dem süßlichen Duft des Holzfeuers, noch lange nachher in der reinen Morgenluft hielt. Von
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