Alte Meister: Komödie (German Edition)
in den letzten Jahren entwickelt haben. Merkwürdig, wie Sie sich entwickelt haben, sagte er. Im Grunde führen Sie eine rare Existenz, mehr oder weniger total unabhängig, wenn ich in Betracht ziehe natürlich, daß es überhaupt keinen unabhängigen Menschen auf der Welt gibt, schon gar nicht den total unabhängigen. Wenn ich das Ambassador nicht hätte, sagte er, die Nachmittage überlebte ich nicht. In letzter Zeit kommen so viele Araber hin, bald wird es ein Araberhotel sein, wo es doch immer ein Judenhotel gewesen ist, Juden und Ungarn,vor allem ungarische Juden , das macht mir das Hotel seit Jahrzehnten so angenehm, sagte er, mir sind ja nicht einmal die persischen Teppichhändler lästig, die im Ambassador ihre Teppiche handeln. Aber glauben Sie nicht auch, daß es mit der Zeit gefährlich ist, im Ambassador zu sitzen, könnte nicht jeden Augenblick eine Bombe explodieren im Ambassador, wenn Sie sich vorstellen, daß das Haus fortwährend von israelischen Juden und von ägyptischen Arabern bevölkert ist. Mein Gott, sagte er, es ist ja auch ganz gleich, ob ich in die Luft gehe, wenn es nur augenblicklich geschieht. Den Vormittag im Kunsthistorischen Museum, den Nachmittag im Ambassador und zu Mittag im Astoria oder im Bristol gut essen, sagte er, das schätze ich. Von der Times allein könnte ich natürlich kein Leben wie dieses führen, heuchelte er, die Times befördert mir ja mehr oder weniger nur mein Taschengeld nach Österreich. Aber die Aktien stehen nicht gut, der Aktienmarkt ist eine Katastrophe. Und in Österreich existieren wird von Tag zu Tag teurer. Andererseits habe ich mir ausgerechnet, daß ich ohne weiteres, wenn kein sogenannter Dritter Weltkrieg ausbricht, ruhig noch an die zwei Jahrzehnte leben könnte mit dem, das ich habe. Das ist beruhigend, wenngleich doch alles tagtäglich zusammenschrumpft. Sie sind der typische Privatgelehrte, Atzbacher, sagte er zu mir, ja, Sie sind der Inbegriff des Privatgelehrten, Sie sind überhaupt der Inbegriff des Privat menschen , ganz und gar unzeitgemäß, sagte Reger. Das habe ich heute, wie ich wieder so mühselig diese fürchterliche Treppe hier herauf in den Bordone-Saal gegangen bin, gedacht, daß Sie der eigentliche und typische Privatmensch sind, wahrscheinlich der einzige, den ich kenne und ich kenne so viele Menschen, die alle Privatmenschen sind, aber Sie sind der typische, der eigentliche . Daß Sie es aushalten, Jahrzehnte an einem einzigen Werk zu arbeiten und daraus nicht das geringste zu veröffentlichen. Ich könnte das nicht. Ich muß wenigstens einmal im Monat in den Genuß einer Veröffentlichung meiner Arbeit kommen,sagte er, diese Gewohnheit ist mir ein unabdingbares Bedürfnis und dafür lobe ich die Times, daß sie mir in dieser Gewohnheit regelmäßig entgegenkommt und mich auch noch dafür bezahlt. Das Schreiben macht mir ja ausgesprochen Vergnügen, sagte er, diese kurzen Kunststücke, die jeweils nicht länger sind als zwei Seiten, das sind immer dreieinhalb Spalten in der Times, sagte er. Haben Sie nie daran gedacht, wenigstens einen kleineren Abschnitt aus Ihrer Arbeit herauszugeben?, sagte er, irgendein Bruchstück, es hört sich alles so ausgezeichnet an, das Sie andeuten, Ihre Arbeit betreffend, andererseits ist es auch ein Hochgenuß, nichts zu veröffentlichen, gar nichts , sagte er. Aber irgendwann werden Sie doch die Wirkung wissen wollen, die Ihre Arbeit hervorruft, sagte er, und Sie werden wenigstens einen Teil Ihrer Arbeit veröffentlichen. Einerseits ist es großartig, eine sozusagen lebenslängliche Arbeit das ganze Leben zurückzuhalten und nicht zu veröffentlichen, andererseits ist es genauso großartig, zu veröffentlichen. Ich bin der geborene Veröffentlicher, während Sie der geborene Nichtveröffentlicher sind. Wahrscheinlich ist Ihre Arbeit und sind Sie, und also Ihre Arbeit aus Ihnen und Sie auf Ihre Arbeit bezogen, wie Sie wollen, zur Nichtveröffentlichung verurteilt, denn Sie leiden ja sicher immer darunter, daß Sie an Ihrer Arbeit arbeiten, diese Arbeit aber nicht veröffentlichen, das ist die Wahrheit, denke ich, Sie geben es nur nicht zu, nicht einmal sich selbst, daß Sie unter diesem sogenannten Nichtveröffentlichungszwang leiden. Ich würde darunter leiden, meine schriftstellerische Arbeit nicht zu veröffentlichen. Aber natürlich ist Ihre Arbeit nicht mit meiner Arbeit vergleichbar. Ich kenne allerdings keinen Schriftsteller oder jedenfalls keinen schreibenden Menschen, der es überhaupt
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