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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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setzen ihnen überall die Kitschkrone auf, sagte Reger. Aber natürlich haben Sie vom Grab meiner Frau aus einen herrlichen Blick auf Grinzing und den dahinter liegenden Kahlenberg. Und auf die Donau hinunter. Das Grab liegt so hoch, daß Sie von ihm aus auf Wien hinunterschauen können. Sicher ist es egal, wo der Mensch begraben wird, aber wenn er schon ein Grab auf Friedhofsdauer besitzt , wie ich und meine Frau, dann soll er sich auch in seinem Grab begraben lassen. Überall, nur nicht auf dem Zentralfriedhof , möchte ich begraben sein, hat meine Frau oft gesagt, so Reger, und ich selbst möchte ja auch nicht auf dem Zentralfriedhof begraben sein, obwohl es letzten Endes, wie gesagt, gleichgültig ist, wo der Mensch begraben ist. Mein Leobener Neffe, der einzige Verwandte, den ich noch habe, sagte Reger, weiß, daß ich nicht auf dem Zentralfriedhof begraben sein will, sondern in meinem Grab, das ja auf Friedhofsdauer mein Eigentum ist , so Reger, aber natürlich, wenn ich weiter als dreihundert Kilometer von Wien weg sterbe, dann an Ort und Stelle, innerhalb des Dreihundertkilometerradius, in Wien, anderenfalls an Ort und Stelle , habe ich zu meinem Leobener Neffen gesagt; der wird sich an das, das ich ihm gesagt habe, halten, denn er ist mein Erbe, so Reger. Reger schaute den Weißbärtigen Mann an und sagte: noch vor einem Jahr, noch kurz vor dem Tod meiner Frau, bin ich gern ein paar Stunden durch Wien gelaufen, dazu habe ich jetzt keine Lust mehr. Der Tod meiner Frau hat mich doch sehr geschwächt, ich bin nicht mehr derselbe wie vor ihrem Tod. Und Wien ist ja auch so häßlich geworden, sagte er. Im Winter denke ich, das Frühjahr wird mich retten und im Frühjahr denke ich, der Sommer wird mich retten und im Sommer denke ich, der Herbst und im Herbst, der Winter, das ist immer dasselbe, daß ich von einer Jahreszeit auf die andere hoffe. Aber das ist natürlich eine unglückliche Eigenschaft, diese Eigenschaft ist mir angeboren, ich sagenicht, wie gut, es ist Winter, der Winter ist genau für dich, wie ich nicht sage, das Frühjahr, es ist genau für dich, wie der Herbst, er ist genau für dich, der Sommer und immer wieder so . Ich schiebe mein Unglück immer auf die Jahreszeit, in der ich leben muß, das ist das Unglück. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die die Gegenwart genießen, das ist es, ich gehöre zu diesen Unglücklichen, die die Vergangenheit genießen, das ist die Wahrheit, die die Gegenwart immer nur als Beleidigung empfinden, das ist die Wahrheit, sagte Reger, ich empfinde die Gegenwart als Beleidigung und als Zumutung, das ist mein Unglück. Aber ganz so ist es naturgemäß auch wieder nicht, sagte Reger, denn ich bin ja doch immer wieder auch imstande, die Gegenwart zu sehen, wie sie ist und sie ist naturgemäß nicht immer nur die unglückselige, unglücklich machende, das weiß ich, wie die Vergangenheit nicht die ist, die, wenn man an sie denkt, glücklich macht, das weiß ich. Ein großes Unglück ist ja auch der Umstand, daß ich keinen Arzt habe, dem ich vertrauen kann, ich habe so viele Ärzte in meinem Leben gehabt, aber keinem dieser Ärzte habe ich letzten Endes vertraut, alle haben mich schließlich enttäuscht, sagte Reger. Ich fühle mich durch und durch angegriffen und habe alle Augenblicke das Gefühl, zusammenzubrechen. Wenn ich sage, mich trifft der Schlag , so glaube ich tatsächlich, daß mich der Schlag trifft, auch wenn ich es schon Tausende Male sagte, sagte Reger, mir selbst geht es schon auf die Nerven, alle Augenblicke sage ich, mich trifft der Schlag und er hat mich nicht getroffen, sagte Reger. Auch in Ihrer Gegenwart habe ich ja schon oft gesagt, daß ich denke, mich trifft der Schlag und er hat mich doch nicht getroffen, ich sage das durchaus nicht aus Gewohnheit, sondern weil ich das tatsächliche Gefühl habe, daß mich der Schlag trifft . Meinen Körper betreffend, ist in mir nichts mehr in Ordnung, sagte Reger. Wenn ich einen guten Arzt hätte, aber ich habe keinen guten Arzt. In der Singerstraße hätte ich ja vier praktische und zwei internistische Ärzte, aber alle dieseÄrzte sind nichts wert. Meine Augen sind so schlecht, daß ich bald nichts mehr sehe, aber ich habe keinen guten Augenarzt. Aber natürlich gehe ich auch deshalb zu keinem Arzt, weil ich Angst habe, der Arzt könne mir bestätigen, was ich vermute, daß ich todkrank bin . Ich bin seit Jahren todkrank, das habe ich meiner Frau immer schon gesagt, sagte Reger, und ich habe mit Sicherheit

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