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Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]

Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]

Titel: Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: KBV Verlags- und Mediengesellschaft
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Konkurrent um die Gunst der schönen Künstlerin aus. Jetzt gab es keine Entschuldigung mehr für ihn, es nicht bei ihr zu versuchen.
    Lorenz schüttelte unwillig den Kopf. Das erschien ihm alles als purer Unsinn. Aber er konnte sich einfach keinen Reim auf solche Dinge machen. Wieder setzte er sich hin und schrieb: »Der Alte hatte sich mit diesen sexuellen Thematiken niemals beschäftigen müssen.« Dann betrachtete er den Text, stellte fest, dass die beiden letzten Sätze überhaupt nicht zusammenpassten, und löschte das zuletzt Geschriebene wieder. Was hatten sexuelle Beziehungen schon damit zu tun, dass man sich manchmal alt und verbraucht fühlte?
    Er beschloss, Kommissar Wollbrand mit diesem Unfug nicht zu belasten. Der erfahrene Ermittler war gewiss viel zu abgebrüht, um sich von solchen Dingen wie schwulen Freunden ablenken zu lassen. Wollbrand war sicherlich nichts Menschliches fremd. Und das war vielleicht das Problem. Lorenz war eben doch nicht wie Kommissar Wollbrand. Ihm war das alles sehr fremd. Über fünfzig Jahre war er verheiratet gewesen, und Beziehungen zu anderen Frauen waren immer sehr einfach gewesen. Nachbarinnen, Arbeitskolleginnen, Marias Kaffeekränzchen. Und dass es schwule Männer gab, wusste er eigentlich nur aus dem Fernsehen. Homosexualität war wie eine exotische Krankheit, die es in seiner Welt nicht gab. Und dass diese Männer, wenn sie über siebzig Jahre zählten, immer noch schwul waren, wollte ihm gar nicht in den Kopf. Aber er kam sich kindisch vor, als er sich bei dem Gedanken ertappte, dass man das Schwulsein mit dem Erreichen eines bestimmten Alters ablegte. So wie er ja auch gedacht hatte, dass man ohnehin, wenn man schon im Altersheim lebte, überhaupt keine Sexualität mehr hatte, erst recht keine – verkehrte. Aber Gustav war doch ein vernünftiger Kerl, gebildet, dabei ehrlich, geradeaus und humorvoll. Wie konnte an dem Freund dann andererseits etwas so verkehrt sein? Hätte er sich nicht irgendwie dagegen behandeln lassen können?
    Lorenz beschloss, Gustav einfach einmal zu fragen, was es mit alldem auf sich hatte. Sicher, das würde er tun. Irgendwann.

24. Kapitel
    Obwohl der Alte wusste, dass es zwecklos war, hatte er wieder einmal versucht zu schlafen. Die Nachttischlampe warf ein schummriges Licht auf das Bett. Die Uhr zeigte, fast so, als wolle sie einen alten Kinderreim abzählen, die Ziffern eins, zwei, drei. Jakob Kratz wischte sich den Schweiß von der Stirn. Viele Jahre war es her, dass er zu dieser nächtlichen Stunde nicht wach gewesen war. Es kam ihm so vor, als hätte er seit jenen Nächten in Treblinka überhaupt nicht mehr geschlafen. Wie kannst du schlafen, dachte er, wenn du weißt, dass die Mörder von ihren Frauen träumen oder vom Endsieg? Wie kannst du deinen Geist beruhigen und die Augen schließen, wenn der morgige Tag neue Folter bringt, neue Erniedrigungen? Der Alte konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wie viele Varianten des Selbstbetrugs er angewendet hatte, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Gott wird alle Verbrecher strafen, der Aufstand wird gelingen, die Alliierten werden uns befreien, ich werde nach Hause zurückkehren und die Familie und die alten Freunde wiedersehen.
    Nichts von alldem war eingetroffen. Und doch lebte er. Fast hatte er sogar geglaubt, er sei in die Heimat zurückgekehrt. Was für eine Illusion. Wie konnte das Heimat sein, wenn man von den Nachbarn verraten und vertrieben worden war? Die Heimat war ihm mit allen Wurzeln aus dem Herzen gerissen worden.
    Eins, zwei, drei – die andern sind vorbei.
    Rips, raps, raus – du bist draus.
    Es gab keine Familie mehr. Und keine Freunde.
    Was will ich nur hier, fragte sich Jakob Kratz und stand auf. Im Spiegel der Garderobe betrachtete er seinen nackten Körper. Welk und verbraucht war er, bedeckt mit zahlreichen alten Narben. Und doch spürte er immer noch diese unaufhaltsame Kraft in sich, fast so, als sei er immer noch der junge Mann, der in einer zugigen Baracke auf den Morgen wartete, zu allem bereit, erfüllt von einem übermächtigen Hass, der ihm die Macht verleihen sollte, alle Mörder totzuschlagen. Langsam begann Jakob sich anzukleiden. Sein Werk war nicht getan, der Weg noch nicht zu Ende. Der alte Hass – zu was war er noch nütze? Er hatte ihn nicht leben, nur überleben lassen. Zäh, wie er war, hatte er all die Verbrecher überdauert. Und die, die er noch angetroffen hatte, waren zumeist sabbernde, zittrige Greise gewesen, die niemand mehr zur

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