Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
ungewöhnliches Geräusch zugetragen hatte. Vielleicht hatte er sogar aus den Augenwinkeln eine verräterische Bewegung wahrgenommen. Jedenfalls war er nicht mehr überrascht, als ein paar Männer aus dem Wald heraustraten und mit grimmigen Mienen auf ihn zukamen. Der Alte fasste in seine Tasche.
Hermann Floto brüllte ihn an: »Lass die Hände, wo wir sie sehen können, du Judensau!«
Jakob entgegnete ruhig: »Guten Morgen, meine Herren. Warum so nervös? Haben Sie etwa Angst vor einem alten Mann?«
Floto lachte heiser auf. »Angst vor dir? Wir werden dir zeigen, was Angst ist!«
Jakob schüttelte traurig den Kopf. »Mein Junge, du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich Theresienstadt, Treblinka und Sobibór überlebt habe, um jetzt hier vor euch verwirrten Hampelmännern Angst zu bekommen?«
Floto stutzte einen Augenblick, dann gab er seinen Begleitern einen Wink. Die Männer kamen Jakob langsam näher. Der Alte beobachtete sie. Er sah Baseballschläger, Schlagringe und Messer in ihren Händen.
»Es gibt in Deutschland keinen Platz für Abschaum wie dich«, eiferte Floto weiter. »Du hättest in Israel bleiben sollen oder wo immer deinesgleichen geduldet wird. Aber vor allem hättest du meinen Vater nicht töten dürfen. Mörderjude!«
Jakob musterte Floto scharf. »Du bist also der Sohn vom alten Floto? Hätte ich mir doch denken können. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und warum glaubst du, ich hätte deinen Vater ermordet? Wenn ich mir deine Jungs, die du mitgebracht hast, so anschaue – die erschlagen doch lieber einen alten Mann für zehn Euro, als eine Stunde ehrlicher Arbeit nachzugehen.«
»Das reicht«, stieß Floto hervor. »Macht ihn fertig!«
»Das reicht allerdings!« Dieser Ruf kam aus dem Rücken der Männer, die sich irritiert umdrehten. Es traten weitere Gestalten aus dem Wald. Einer dieser Männer rief Hermann Floto zu: »Floto, du und deine Straßenschläger, ihr macht jetzt ganz schnell, dass ihr hier wegkommt! Wir wollen in unserem schönen Nideggen keine Neonazis, die ehrenwerte Männer bedrohen!«
»Scheiße, mir reicht’s«, brüllte Floto. »Los, klatschen wir die linken Schweine auf!« Er schwang seinen Baseballschläger und ging rasch auf die Neuankömmlinge zu. Seine Männer folgten ihm. Jakob Kratz betrachtete erstaunt, wie die beiden Gruppen aufeinander losgingen. Eine wilde Schlägerei entbrannte. Ein Messer blitzte auf, und der erste Mann ging zu Boden. Da peitschte ein Schuss auf. Die Kämpfenden hielten inne und sahen, wie Lisa Wilke mit einer Pistole im Anschlag neben Jakob trat. »Schluss mit dem Unsinn!«, rief sie laut.
Die Männer erstarrten kurz, dann rannten alle davon. Nur ein Mann blieb neben seinem verletzten Kumpanen stehen. Der sagte zu Lisa: »Gut, dass Sie da sind, Frau Wilke. Wenn wir Schusswaffen einsetzen könnten, wäre das hier anders verlaufen.«
Lisa Wilke antwortete: »Herr Drechsler, ich bin überrascht. Was macht ein Stadtrat in einer solchen Prügelei?«
Henry Drechsler kniete neben dem verletzten Mann nieder. »Wir haben ein Auge auf die Neonazis. Ich hatte befürchtet, dass der Floto seinen Vater rächen will. Deshalb haben wir aufgepasst.«
Lisa und Jakob traten näher. Lisa beugte sich herunter und untersuchte die Verletzung des Mannes, der leise stöhnend am Boden lag. Sie zog den Gürtel von ihrer Jeans und band den blutenden Oberarm des Mannes ab. »Halb so wild«, sagte sie dann. »Muss aber trotzdem rasch behandelt werden.«
Jakob holte sein Mobiltelefon hervor und wählte die Notrufnummer. Nach dem Gespräch meinte er: »Hätte nicht gedacht, dass du so schnell kommen kannst.«
Lisa grinste. »Was für einen Sinn hätte die Kurzwahl sonst gehabt?« Dann betrachtete sie den Verletzten näher. Sie sah einen Button auf dessen Jacke: »Antifa?«
»Sie kennen uns?«, fragte der Mann.
»Nicht wirklich«, meinte Lisa. »Sie haben mit den Autonomen Linken in Deutschland zu tun?«
»Oh nein«, sagte Henry Drechsler schnell. »Die Antifaschistische Aktion ist sicher politisch linksgerichtet, aber die Autonomen sind eher Krawallmacher. Wir dagegen achten einfach nur darauf, dass die gewalttätigen Neonazis in unserem Land nicht die Oberhand gewinnen. Und wir schützen Menschen wie Herrn Kratz.«
»Das ist ja sehr nett von Ihnen«, meinte Jakob. »Ich hoffe, Sie empfinden es nicht als unhöflich, wenn ich Ihnen sage, dass ich um diese Art von Hilfe nicht gebeten habe.«
Der Verletzte antwortete: »Dankbarkeit haben wir auch
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