Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
ist das genau so, wie du sagst«, bestätigte Brandenburg. »Auch bei uns gab es diesen Wahnsinn. In der Folge wurde es noch schlimmer, bis schließlich alle Juden in Züge gesteckt und in Konzentrationslager deportiert wurden. Die meisten wurden dort umgebracht. Bei uns in der Eifel waren die Deportationen sogar noch gründlicher als in großen Städten wie Köln. Man könnte ja vielleicht meinen, dass da, wo jeder jeden kennt, wo man am Wochenende zusammen Fußball spielt und sich gegenseitig beim Hausrenovieren hilft, dass man da der Verfolgung vielleicht hätte entkommen können. Aber weit gefehlt. Da eben jeder jeden kannte, waren die Juden schnell gefunden, und deren Häuser waren ja auch etwas wert.«
»Kamen denn welche nach dem Krieg zurück?«, fragte Jessica.
Franz-Josef Brandenburg nickte. »Ganz wenige hatten die grausamen Verfolgungen überlebt und kehrten in ihre Heimat zurück. Aber leben konnten sie hier nicht mehr. Es war ihnen zu viel Schlimmes angetan worden. Der Schmerz war zu groß.«
»Kennen Sie denn welche, die zurückkehrten?«, fragte Lorenz.
»Ich hatte das Glück, den einen oder anderen kennenzulernen, ja«, meinte Brandenburg. »Da war Emil Kamp, ein sehr kunstsinniger Mann, der nach Kolumbien flüchten konnte, während die Nazis seine Familie umgebracht haben. Er hat sich wie die anderen Überlebenden auch im Exil eine neue Existenz aufgebaut. Kamp besuchte seine Heimat mehrmals und wurde auf dem Friedhof in Düren begraben. Ich erinnere mich an ein Zusammentreffen, wir besuchten gemeinsam den jüdischen Friedhof in Drove. Er konnte ihn nicht betreten. Der Schmerz war zu groß. Als ich ihn einmal bat, eine Zeichnung der zerstörten Synagoge anzufertigen – er war künstlerisch begabt, konnte dichten und auch zeichnen –, lehnte er ab. Er brachte es einfach nicht übers Herz. Oder der Herr Schlächter. Der hat sogar versucht, wieder in Nideggen zu leben, hat in der Kirchgasse, die zur Burg hochführt, einen kleinen Laden betrieben. Er blieb leider nicht lange, zog wieder fort. Heute lebt kein Nideggener Jude mehr hier, soweit ich weiß. Die Alten wollten nicht mehr und sterben langsam alle aus, und deren Nachfahren sehen Nideggen nicht mehr als Heimat an. So ist es auch in allen anderen ehemaligen jüdischen Gemeinden in der Gegend. So kommt es, dass es heute in der Rureifel und überhaupt im ganzen Kreis Düren mit seinen beinahe dreihunderttausend Einwohnern keine einzige jüdische Gemeinde gibt.«
Lorenz fragte weiter: »Kennen Sie den alten Kratz, der jetzt in der Seniorenresidenz Burgblick lebt?«
Brandenburg schüttelte den Kopf. »Leider nicht persönlich, nein. Er soll sehr zurückhaltend sein, spricht kaum einmal mit jemandem. Soweit ich weiß, gehört er aber zu der Nideggener Familie Kratz. Die hatte eine sehr beliebte Pension in der Rather Straße, deren Zimmer meistens ausgebucht waren. Da gab es einen Norbert Kratz, der hatte im Altwerk eine Pferdehandlung. Das Haus, in dem heute die Verwaltung des Seniorenheims Kappen sitzt, gehörte den Kratzens, es wurde vor dem Krieg verkauft. Später erhielten die Erben der Familie, soweit ich weiß, noch einmal eine Entschädigungszahlung, weil die Kaufpreise für jüdische Immobilien während der Nazizeit viel zu gering gewesen waren. Jessica, das nannten die Nazis übrigens Arisierung. Jüdische Geschäfte oder auch Häuser wurden den Eigentümern weggenommen, die bekamen nur einen lächerlichen Preis dafür. Wenn deutsche Nichtjuden, die die Nazis Arier nannten, ein Haus von Juden kauften, gaben sie manchmal, weil es gute Nachbarn und Freunde waren, nebenher heimlich noch Geld dazu. Und nach dem Krieg konnten die überlebenden Juden oder ihre Erben Anträge stellen auf Entschädigung, dann bekamen sie noch mal Geld. Aber das war natürlich nie genug, von dem schrecklichen Leid einmal abgesehen, das man sowieso nicht mit Geld wiedergutmachen kann.«
»Sagen Sie mal«, meinte Lorenz. »Ging es bei diesen Fällen von Entschädigungen eigentlich immer koscher zu?«
»Seltsam, dass Sie das fragen«, meinte Brandenburg.
»Wieso?«
»Das hat mich gestern schon jemand gefragt. Eine Amerikanerin, die wohl eine Vertraute des alten Kratz ist und hier in solchen Sachen ermittelt.«
»Das ist ja ein Ding«, meinte Lorenz. »Was ermittelt sie denn so?«
»Sie fragte gezielt nach jüdischen Immobilien, Arisierungen und ob ich wisse, dass es da böses Blut gegeben hat.«
»Und – hat es das?«
»Wie man’s nimmt. Amtliches weiß
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