Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
ich dazu nicht. Ich glaube sogar, diese Amerikanerin weiß eigentlich mehr darüber als ich. Aber ich habe mit so vielen Leuten in den letzten Jahren gesprochen, da schnappt man das eine oder andere auf. Jedoch muss das nicht immer stimmen.«
»Jaja«, meinte Lorenz. »Schon klar. Aber lassen Sie es raus!«
Brandenburg grinste freudlos. »Also gut. Ich weiß von einer Frau, die heute in New Jersey lebt, dass damals nach dem Kriege die Juden, die Anträge auf Entschädigung gestellt haben, nicht immer sehr zufrieden mit der Bearbeitung waren. Eine Jüdin hat enorme Anwaltskosten aufbringen müssen, nur um zu verhindern, dass ein bekannter Nazi ihr Elternhaus erwerben konnte. Ein Fall aus Nideggen ist bekannt geworden und ein weiterer aus Embken. Der zuständige Beamte für diese Vorgänge war damals Wilhelm Seeger, er war 1945 erster Landrat des Kreises Düren. Niemand kann diesem Mann etwas Unrechtes nachsagen, es gab jedoch Gerüchte, dass die Interessen der neuen Besitzer mehr gewahrt wurden als die der jüdischen Vorbesitzer. Und dieser Seeger wurde später ermordet. Über die Hintergründe weiß ich jedoch nichts. Und wie gesagt, alles Gerüchte. Oral History, wie diese Wilke es nannte.«
»Aber das mit der Ermordung ist gesichert?«
»Aber ja. Stand ja in allen Zeitungen. Aber fragen Sie diese Wilke, ich glaube, die weiß auch darüber mehr als ich. Auch über die Beteiligung des Stadtrates.«
»Was bedeutet das denn nun schon wieder?«, fragte Lorenz, der mittlerweile völlig vergessen hatte, dass sie eigentlich wegen Jessicas Schulaufsatz gekommen waren.
»Ei nun, es gab auch Gerüchte, dass sich der alte Floto ebenfalls an jüdischen Immobilien bereichert und sich um die Entschädigung gedrückt hat. Das gab wilde Diskussionen, er war ja lange Zeit im Stadtrat und sogar zuständig dafür. Er saß auch in dem Ausschuss, der über die Projekte im alten Kurpark und das Bauprojekt am Zülpicher Tor entschieden hat. Und der Kellermann, der vor Kurzem ermordet wurde, hat Flotos Arbeit weitergeführt. Man sagt, Kellermann habe sich finanziell engagiert für das Mountainbike-Zentrum, das jetzt doch nicht in Nideggen angesiedelt wird. Da geht’s halt auch um viel Geld. Nicht nur Tourismus-Einnahmen, sondern auch Immobilienpreise hängen von so etwas ab. Und jetzt soll auf dem Kurgelände ein Skulpturenpark entstehen.«
»Und darum musste der Kellermann sterben?«, fragte Lorenz.
»Das kann man nicht sagen«, grübelte Brandenburg. »Es gab auch andere Pläne, beispielsweise wollte sich im Zusammenhang mit dem neuen Infozentrum auch eine Stiftung für politische Bildung und Geschichtsforschung da einkaufen, deswegen war doch dieser Korger mehrfach mit dem Nideggener Stadtrat im Gespräch, dieser reiche alte Unternehmensberater, der oben am Kühlenbusch eine Villa gekauft hat.«
Lorenz kraulte seinen Bart. »Seltsam das Ganze.«
»Aber so was von«, meinte Brandenburg. »Und diese Amerikanerin fragte mich weiter aus nach Leuten mit Zugang zu alten Behördenstempeln und Briefpapier, womit noch nach dem Krieg Kaufverträge in die 1920er Jahre vordatiert wurden, um Arisierungsgeschäfte zu verdunkeln.«
»Und Floto hatte Zugang zu solchen Utensilien?«
»Wer sonst, wenn nicht dieser alte Hund?«
»Wie konnte der Nazi überhaupt damals in den Stadtrat kommen?«
Brandenburg zuckte mit den Achseln. »Als Nazi war der nicht bekannt. Er ist früh in die CDU eingetreten und trug keine Hakenkreuzflaggen zum Schützenfest. Glaube, Sitte, Heimat sind nichts Verdächtiges. Wobei der alte Floto es mit dem Glauben und der Kirche ganz sicher nicht hatte.«
Franz-Josef Brandenburg sah auf Jessica und merkte, dass die Gesprächswendung das Mädchen etwas überfordert hatte. Daher sagte er zu ihr: »Du musst wissen, dass die Nazis für den Glauben überhaupt nichts übrig hatten, nicht nur in Bezug auf den jüdischen Glauben, sondern auch den christlichen. Bei der Zerstörung der Synagoge in Drove sollen die Brandstifter auch gedroht haben, die Kirche gleich mit anzuzünden, falls jemand die Synagoge beschützen wolle.«
Lorenz fragte weiter: »Und diese Amerikanerin – weshalb kam die jetzt genau zu Ihnen?«
Brandenburg antwortete: »Wie gesagt, ich glaube, die weiß mehr über diese Arisierungsgeschäfte als ich. Aber sie sagte, sie habe von meinem Buch
Die Juden von Nideggen
gehört und wollte eins haben. Und sie hat angenommen, ich könnte ihr noch weitere Details zu ihren Recherchen nennen.«
»Das Buch hätten
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