Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Pfarrer hob abwehrend die Hände. »Dies bedenkend, habe ich als Namenspatron den seligen Werner von Wilten gewählt, dessen Namensfest auf meinen Geburtstag fällt.«
»So sind die Katholen«, brummelte Lorenz. »Für jeden Zweck ziehen sie einen Heiligen oder Seligen aus der Tasche.«
»Bevor ihr euch darüber rauft, zeige ich euch lieber noch etwas«, fuhr Hardering fort. Er führte Lorenz und Werner Friesdorf zum Dreikönigenschrein. Als sie dort ankamen, wies Hardering auf die Rückseite des goldenen Schreins. »Hier ist die Geißelung Jesu vor seiner Hinrichtung dargestellt. Die beiden Folterknechte, die mit verzerrten Gesichtern auf ihn einschlagen, tragen Judenhüte, sind also als Juden in frühmittelalterlicher Tracht gekennzeichnet. Das ist expliziter Antisemitismus in der damaligen Kunst. Was ich euch jetzt nicht zeigen kann, sind diverse andere Stellen am Dom, beispielsweise Wasserspeier, die ebenfalls das Judensau-Motiv aufgreifen.«
Lorenz betrachtete die Darstellung auf dem goldenen Schrein. »Das zielt wieder auf die Idee, die Juden seien die Mörder unseres Herrn. Da fällt mir ein, gab es nicht einmal hier in Köln den Brauch, am Karsamstag nach der Messe den Judas in Form einer Strohpuppe zu verbrennen? Ist Judas nicht auch ein Sündenbock für den Tod Jesu? Die Kölner wollen anscheinend immer was verbrennen, wie zum Beispiel den Nubbel zum Ende der Karnevalszeit.«
»Da ist was dran«, meinte Friesdorf. »Und wenn man bedenkt, das der Nubbel früher auch ‹Zacheies› genannt wurde, womit der hebräische Zachäus gemeint ist – ich denke an den biblischen Zöllner, vielen ein Sinnbild des sündigen, wegen des Geldeintreibens ungeliebten Juden –, kann man viele Querverbindungen herstellen, wenn man genau hinschaut.«
»Und das ist wiederum ein Motiv, dessen sich auch die Nazis gerne bedient haben«, ergänzte Lorenz. »Als Mörder Jesu waren die Juden den Braunen vielleicht eher gleichgültig, aber der geldgierige Jude und der illoyale Verräter Judas, das taugt dem simplen Gemüt zur negativen Charakterisierung aller Juden.«
»Und doch steht der Dom auch für die Versöhnung von Juden und Christen«, meinte Hardering. »Man denke an die jüdischen Stifter und Künstler, die sich hier engagiert haben. Es gibt auch positive Darstellungen jüdischer Figuren aus dem Alten Testament wie zum Beispiel die weisen Richtersprüche des Königs Salomon. Und in einer Rede zur Wiedereinweihung der Synagoge in der Roonstraße erinnerte der Rabbiner an Juden, die im KZ aus Heimweh den Kölner Dom an die Barackenwand zeichneten.«
Es entstand eine Pause. Die drei Männer atmeten tief durch. Jeder dachte für sich still über das nach, was eben erzählt worden war.
Dann meinte Dr. Hardering: »So, und jetzt brauche ich unbedingt einen Kaffee. Ich kenne in der Nähe ein kleines italienisches Café.«
»Nix dagegen«, meinte Lorenz. »Solange ich anschließend im
Früh
ein Kölsch und Bohnen mit Speck bekomme.«
»Beides hört sich hervorragend an«, schmunzelte Pfarrer Friesdorf. »Wie heißt es im ersten Korinther: »Ob ihr nun esst oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles zu Gottes Ehre.«
35. Kapitel
Schauen Sie sich das mal an.« Paul ließ das Foto auf den Tisch fallen.
Lisa Wilke durchmaß ihr Hotelzimmer mit wenigen schnellen Schritten und warf einen Blick auf das Bild. Dann sah sie Paul an. »Und jetzt soll ich Ihnen sagen, welchen von diesen Männern ich kenne?«
»Ist Ihnen denn einer dieser Kerle bekannt?«
»Ach Paul«, sagte Lisa und lächelte ihn an. »Wenn ich alle Typen kennen würde, die die Burg Vogelsang besuchen ...«
»Ach Lisa«, versetzte Paul. »Sie erkennen Vogelsang an dem winzigen Stück Mauer, das man auf diesem Foto sieht?«
Lisas Lächeln wurde breiter. »Sehr aufmerksam, Paul. Das mag ich bei Männern.«
Paul fuhr sich über seine Drei-Millimeter-Frisur. Lisa lachte ihn jetzt an. »Sie werden ja rot, Paul. Das wollte ich nicht.« Dann tippte sie mit dem Finger auf das Foto. »Den Typen mit dem Arm in der Binde kenne ich. Der hat den Jakob Kratz beschützt und wurde dabei verwundet. Wer sollen die anderen sein?«
Paul atmete tief durch. »Der rechts daneben, und das ist durchaus auch politisch gemeint, ist Albert Finkel, ein Lokalpolitiker der NPD. Den anderen kenne ich nicht.«
»So, ein Rechter?«, fragte Lisa und schaute sich das Foto nochmals an. »Interessant.«
»Allerdings«, meinte Paul. »Sie arbeiten für das OSI. Das bedeutet, Sie sind eine
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