Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
wir übrigens auch gern«, meinte Lorenz.
»Ich gebe Ihnen eins mit«, sagte Franz-Josef Brandenburg. Und dann fügte er an Jessica gewandt hinzu: »Hast du denn noch Fragen? Irgendetwas, was du unbedingt wissen möchtest?«
»Im Moment nicht«, antwortete das Mädchen. »Ich würde gerne Ihr Buch lesen. Darf ich danach noch mal wiederkommen?«
»Aber gerne«, sagte Brandenburg und stand auf. »Ich gehe mal in mein Büro und hole dir das Buch.«
Als er das Zimmer verlassen hatte, meinte Lorenz: »Siehst du, es war doch eine gute Idee, den Brandenburg zu besuchen.«
Jessica antwortete: »Ich bin auf sein Buch gespannt. Opa Bertold, wann hast du denn deins fertig?«
Lorenz kratzte sich am Ohr, dann fuhr er sich durch seinen grauen Bürstenschnitt. »Ach weißt du, ich schreibe nur so für mich. Das muss niemand sonst lesen.«
»Aber dann erfährt ja niemand von Kommissar Wollbrand?«
»Psssst«, machte Lorenz und legte einen Finger an seine Lippen. »Der alte Kommissar kann seine Fälle am besten lösen, wenn möglichst niemand von ihm erfährt. Besonders dein Vater und Rita müssen ihn gar nicht näher kennenlernen.«
37. Kapitel
Hermann Floto schloss die Tür. Es war sehr spät geworden an diesem Tag, und er war müde. Der Parkplatz hinter seinem Firmensitz lag schon im Dunkel der hereinbrechenden Nacht. Er fluchte, da er das Licht am Hinterausgang schon seit Wochen reparieren lassen wollte, aber seine Mitarbeiter gingen ja nie so spät, dass sie im Sommer abends dieses Licht benötigt hätten. Jetzt suchte er vergeblich nach dem richtigen Schlüssel.
»Verdammte Scheiße noch mal«, murmelte er. »Wenn man sich nicht selbst kümmert, passiert gar nichts.«
»Da hast du recht, Arschloch.«
Die Stimme ließ ihn herumfahren. Hermann Floto konnte im Dunkel der Nacht das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Er sah jedoch, dass dieser Mann ein gutes Stück größer und breiter war als er selbst. Und dann sah er den rechten Haken kommen. Allerdings nicht rechtzeitig, um gegen den Schlag irgendetwas ausrichten zu können. Die Schmerzexplosion in seinem Bauch war gewaltig, und er klappte sofort zusammen. Sekundenlang bekam er keine Luft. Floto hatte gespürt, dass der Mann einen Schlagring benutzte. Und als der Kerl ihn vom Boden hochriss und ihm ins Ohr flüsterte: »Wie fühlt man sich allein im Dunkeln?«, ahnte er, dass er in ernster Gefahr war. Der nächste Schlag krachte in die Seite, und dieser Treffer brach ihm mindestens eine Rippe. Floto krümmte sich, versuchte zu schreien, bekam aber keinen Ton heraus. Nur ein kurzes Husten, bei dem er Blut spuckte. Er fühlte, wie der große Kerl ihm von hinten unter die Achseln griff und ihn hochhob. Sein Brustkorb wurde überdehnt, und der Schmerz ließ ihn fast ohnmächtig werden. Er versuchte zu atmen. Der Angreifer flüsterte ihm ins Ohr: »Tut es weh, ja?«
Dann ließ der Mann ihn etwas herunter, und er spürte den Boden unter seinen Füßen. Floto bekam etwas Luft. Er hätte gerne um Hilfe gerufen, aber Angst, Scham und Schmerz ließen ihn nur heiser flüstern. »Wer bist du? Was willst du von mir?«
Die Antwort war ein Schlag in die Nieren. Floto klappte zusammen. Jetzt kroch er schmerzverkrümmt auf allen vieren. Todesangst bemächtigte sich seiner. Leise begann er zu weinen.
Dann hörte er wieder den Mann sprechen: »Ich stelle hier die Fragen, kapiert, Kamerad? Und die erste Frage lautet: Warum lässt du den alten Kratz nicht in Ruhe?«
Hermann Floto versuchte sich in den Griff zu bekommen, er atmete schnell und flach, um die Schmerzen in Grenzen zu halten. »Wir wollten ihm nur eine Lektion erteilen. Ich lasse ihn bestimmt in Ruhe.«
»Was redest du nur für eine Scheiße! Auf dich ist kein Verlass!«
»Nein«, stieß Floto hervor. »Ihr könnt euch auf mich verlassen. Weder der Stadtrat noch die Stiftung haben etwas zu befürchten. Ich halte dicht, Heil Hitler!«
Der Mann lachte leise. Dann sagte er: »Ich liebe es, Nazis aufzuklatschen. Der Gestank von Angst und braunem Blut.«
Floto sah auf. Er versuchte, in dem Gesicht, das sich über ihn beugte, etwas zu erkennen. Dann sah er, wie der Mann die Faust hob, sah den im schwachen Sternenlicht matt schimmernden Schlagring auf sein Gesicht zurasen und hörte ein hässliches Krachen. Er wusste, dass dies sein Kiefer gewesen war, und hoffte inständig, dass die Wucht des Schlages ihn bewusstlos werden lassen würde. Doch dieser Gefallen wurde ihm nicht gewährt. Er spürte den unerträglichen Schmerz,
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