ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
richtige Ort oder die richtige Zeit dafür war. Meine Finger gruben sich in seine Uniform, als ich plötzlich wieder Schritte auf den Betonstufen hörte. Radu war zurück. Ich ließ Aljoscha los und sah ihn atemlos an. Er zog nur kurz einen Mundwinkel nach oben und entfernte sich dann einen Schritt von mir. Ich ging zurück zu meiner Liege und setzte mich gerade wieder, als Radu um die Ecke bog. Er setzte sich zu mir und reichte mir einen weißen Pappbecher, aus dem es dampfte. Ich nahm den Löffel, der im Becher steckte und rührte etwas darin herum.
„Versorgungsnahrung. Wie ich die vermisst habe.“ Sagte ich mit einem Hauch von Ironie in der Stimme. Ich nahm den ersten Bissen und musste Lächeln. Es gehörte zu den vielen Dinge, die ich so sehr hasste und doch war es auch der Geschmack meiner Kindheit. Meines Lebens.
„Alles okay bei dir?“ Ich nickte nur ohne mein Lächeln zu verlieren. „Es ist lange her, dass ich so was wie Freude in deinem Gesicht gesehen habe.“
„Habe auch erst vor kurzem gelernt es wieder zu fühlen.“
„Hat das zufällig etwas mit Aljoscha zu tun?“
Ich nickte wieder. Die Frage kam nicht unerwartet. Ich wusste, dass Radu sie früher oder später stellen würde.
„Ich weiß es geht mich nichts an, aber… läuft da was zwischen euch?“
Ich merkte wie viel Mühe er sich gab es neutral klingen zu lassen. Er wollte mir nicht das Gefühl vermitteln, das er Vorurteile hatte. Ich drückte den Löffel noch ein paar Mal ins Essen bevor ich antwortete.
„Ja. Schon irgendwie.“
„ Schon irgendwie? Also seid ihr ein Paar oder so was?“ Radu quälte sich mit jedem Wort. Vermutlich war ihm das peinlicher als mir.
„Keine Ahnung. Ich schätze schon.“ Radu zog die Augenbrauen zusammen und schnaubte kurz irritiert auf.
„Wie kann man das nicht wissen?“ Sein Ton hatte die Neutralität verloren und man hörte nun wieder eine Spur von Verärgerung heraus.
„Es hat sich einfach entwickelt, okay? Wir haben da nichts ausdiskutiert und am Ende festgelegt, wie jetzt der Stand der Dinge ist. Wir mögen uns einfach.“
Radu schwieg eine Weile und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er musterte meinen Blick genau bevor er weitersprach.
„Wirst du jetzt bei ihm bleiben… oder er bei dir?“ Sein Gesicht war hart. Er wollte nicht, dass ich irgendwelche Emotionen in seinen Satz interpretieren konnte.
„Das war der Plan.“ Sagte ich etwas verunsichert. „Aber eigentlich habe ich gedacht, dass wir alle zusammen weggehen würden.“
Seine Augen wurden kurz groß.
„Ich kann nicht mitgehen.“
Nun war ich es, die vollkommen überrascht aussah.
„Warum nicht?“ Fragte ich verwirrt. Sofort schlug mein Herz schneller und ich konnte fühlen, wie meine Ohren warm wurden.
„Der Kampf ist noch nicht vorbei. Jemand muss sich der russischen Armee entgegenstellen und dafür sorgen, dass die Menschen die Wahrheit erfahren.“
„Aber das ist ein Kampf, den ihr nicht gewinnen könnt!“ Ich schrie es schon fast, aber nicht aus Wut sondern aus purer Verzweiflung. Ich wollte nicht, dass Radu sich opferte. Und nichts anderes würde es sein. Der STEA hatte unmöglich genug Mitglieder, um der Armee irgendetwas entgegenzusetzten. Überraschenderweise blieb Radu trotz meines kleinen Ausbruchs völlig gefasst.
„Das habe ich auch gedacht, als du damals von der Befreiung Europas gesprochen hast. Und wir sind diesem Ziel jetzt näher als je zuvor.“
Ich senkte den Kopf. Er hatte Recht, doch ich wollte es nicht hören.
„Das ist etwas anderes.“ Sagte ich trotzig.
„Ach ja?“
„Ja! Ihr seid ihnen zahlenmäßig unterlegen und habt auch keinen konkreten Plan.“
„Wir haben einen Plan. Wir werden uns mit den Schutztruppen zusammenschließen und unser Wissen nutzen, um sie zu unterstützen und danach auf unsere Seite zu holen.“ Er klang vollkommen überzeugt davon, doch ich erkannte Radu in diesen Worten gar nicht wieder.
„Das ist doch Irrsinn!“ Rief ich. „Wenn ihr das tut, dann kämpft ihr für das alte System, das ihr doch vorher abschaffen wolltet. Ihr wechselt die Seiten! Und wer sagt, dass ihr am Ende nicht wieder die
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