ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
die Aufrichtigkeit seiner Worte. Es war keine Ausrede und doch fühlte ich mich irgendwie… verstoßen. Ich konnte nicht erwarten, dass er für mich und meine Wünsche einfach seine Ideale aufgab. In diesem Punkt waren wir uns einfach zu ähnlich. Es fiel uns beiden schwer loszulassen, denn wir hatten so viel zusammen durchgemacht. Allein die Vorstellung Radu nicht mehr in meinem Leben zu haben, fühlte sich wie ein Messerstich ins Herz an.
„Du weißt ich habe Recht.“ Sagte er leise, fast nicht mehr hörbar. Er hob die Hand und streichelte meine Wange. Nur kurz. Ich wusste es. Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit die gleiche Entscheidung getroffen. Mir wurde nun klar, ich musste mich von meinem Bruder trennen.
„Komm mit.“ Flehte ich in einem letzten Versuch ihn umzustimmen, doch Radu schüttelte nur den Kopf.
„Es tut mir leid, aber meine Entscheidung steht fest. Bitte versteh mich und bitte vertraue mir.“
Ich senkte den Kopf und konnte nichts mehr sagen. Natürlich verstand ich ihn, doch ich wollte einfach nicht noch mehr Menschen verlieren, die mir wichtig waren. Vor allem nicht meinen Bruder. Doch sein Entschluss stand fest und ich würde ihn nicht umstimmen können. Er küsste noch einmal meine Stirn, bevor er wortlos den Raum verließ. Ich saß einfach so da und starrte in den Becher mit meinem Essen, den ich noch immer in der Hand hielt. Meine Hände bebten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie mein Leben zu diesem Zeitpunkt wäre, hätte ich nie den Wunsch nach Freiheit gehabt und alles einfach akzeptiert. Einfach gelebt ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Mir kam absolut nichts in den Sinn.
23
Ich stand in einer Halle, die zu einer Art Innenhof geworden war. Das Dach fehlte zu größten Teilen und die Natur hatte langsam damit begonnen sich diesen Abschnitt des Kraftwerks zurückzuerobern. Unkraut und Gras waren schon vereinzelt durch den Boden gestoßen und man sah in den Ecken kleine Pfützen, die der letzte Regen zurückgelassen hatte. Ich starrte nach oben. Die Wolken schienen sich ungewöhnlich schnell zu bewegen. Zwischen ihnen konnte ich den orangenen Himmel sehen. Die Luft roch nach Moos und es war kühl. Man hörte das Rauschen des Windes in den Baumkronen, von denen ich aber leider nichts sah. Ich wollte raus, aber man hatte mich nicht gelassen. Es war zu gefährlich und das wusste ich auch. Dieser Ort war zumindest nah dran an ‚draußen‘. Ich hockte mich hin, lehnte meinen Rücken gegen die Wand und starrte vor mich hin. Die Sonne ging langsam unter. Nach Sonnenuntergang wollten wir alle aufbrechen. Radu und die anderen Mitglieder des STEA Richtung Europa und Aljoscha, Anna und ich… wohin eigentlich? Ich stand wieder auf und ging zurück in den überdachten Komplex des Kraftwerks. Weit musste ich nicht laufen, da kam mir Aljoscha schon entgegen. Er blieb immer in meiner Nähe ohne aufdringlich zu sein.
„Wohin werden wir gehen?“ Fragte ich ohne Umschweife. Er sah mich für einen Sekundenbruchteil verwirrt an und begriff dann, was ich meinte.
„Zurück nach Russland.“
„Was?!“ Stieß ich geschockt aus.
„Ganz ruhig. Lass mich das erklären.“ Versuchte er mich mit gelassener Stimme zu beruhigen.
„Ich denke das musst du auch, denn ich halte das für eine schwachsinnige Idee.“
Aljoscha lachte kurz auf. Ich jedoch, fand das gar nicht zum Lachen.
„Es ist wirklich das Sicherste. Sie werden nicht damit rechnen, dass wir ausgerechnet in ‚ihre Arme‘ fliehen. Und das Land ist einfach riesig und zum größten Teil menschenleer. Man wird uns nicht so einfach finden. Vertrau mir.“ Die letzten Worte sagte er wieder mit dieser tiefen Stimme, von der er genau wusste, dass sie auf mich wirkte.
„Ich vertraue dir, ich habe aber auch Angst.“ Ich atmete tief durch. „Dieses ständige Gefühl der Angst… ich-ich kann das einfach nicht mehr.“ Sagte ich mit kraftloser Stimme. Meine Erschöpfung hätte ich auch nur schwerlich verbergen können, denn es war das alles überschattende Gefühl der letzten Tage. Alles zehrte an meinen Kräften. Selbst das Denken fiel mir mittlerweile schon schwer. Es war vor allem die Angst, die mir jede Energie raubte. So viel war mir
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