ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
nervös.
Wir fuhren ohne weitere Zwischenstopps wieder zurück zum Stützpunkt. Während der gesamten Dauer der Rückfahrt, versuchte ich nicht mehr aus dem Fenster zu sehen. Meine Neugier war ungebrochen, doch ich würde nicht aufhören können jedes Detail zu hinterfragen. In wenigen Stunden war auch dieser Ort für mich zu einer Scheinwelt verkommen. Es war wie zu Hause, nur beängstigender und größer. Und vor allem fremd.
Kaum waren wir aus dem Wagen gestiegen, wollte man mich wieder vom Rest der Gruppe trennen, doch diesmal ließ Radu das nicht einfach zu.
„Ich bleibe bei meiner Schwester.“ Stellte er mit betont kraftvollen Worten klar und stellte sich an meine Seite. Danach verschränkte er demonstrativ die Arme, während man Gry und Veit aus dem Fuhrpark führte. Sie drehten sich beide noch einmal zu mir um und warfen mir einen letzten Blick zu. Veits mit einem Lächeln, Grys voller Sorge.
„Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Wir werden auch weiterhin gut auf Fräulein Kovasana aufpassen und sie mit allem Respekt behandeln.“
Emil war gut darin, die Rolle des abgeklärten Militärsprechers zu spielen, doch Radus Präsenz brachte ihn sichtlich ins Schwitzen. Er bemühte sich darum selbstbewusst zu klingen und ruhig auszusehen, doch die Nervosität lief Emil förmlich aus allen Poren.
„Das ist mir klar und trotzdem bleibe ich bei ihr.“ Stellte Radu noch einmal mit allem Nachdruck klar. Seine Worte schienen Emils Fassade der schwindenden Gelassenheit geradezu zu durchlöchern.
„...Ich verstehe nicht, warum-“
„Ich muss das vor Ihnen nicht rechtfertigen. Ich bleibe bei Milla. Wenn Sie damit ein Problem haben sollten, dann interessiert mich das nicht.“ Fiel Radu ihm einfach ins Wort. Man konnte regelrecht sehen, wie Emil das Blut in die Füße stürzte. Es bereitete mir keine Freude, es war nur interessant zu beobachten. Meistens war ich nur genervt, wenn Radu als großer Beschützer und Macho auftrat. In diesem Fall jedoch, war ich dankbar dafür, dass er sich von niemandem einschüchtern oder kleinkriegen ließ. Niemals.
Für eine Weile herrschte Stille. Emil wischte sich mit dem Handrücken über seine schweißnasse Stirn, zögerte noch einen Moment und sah dann wieder zu Radu und mir.
„Ich verstehe. Ich bitte Sie aber ausdrücklich darum Ruhe zu bewahren.“ Dieser Satz galt eindeutig Radu. Trotzdem wirkte es geradezu lächerlich. Als wenn Radu jeden Moment gewalttätig geworden wäre. Er hatte manchmal eine sehr bedrohliche Ausstrahlung, aber er verlor nie einfach die Beherrschung. So war Radu nicht.
Während wir durch die endlos langen Gänge des unterirdischen Militärbunkers liefen, überkam mich zum ersten Mal seit einer ganzen Weile, das Gefühl von Erschöpfung. Es musste schon ziemlich spät sein und ich war bereits sehr lange auf den Beinen ohne etwas gegessen oder auch nur die kleinste Pause gemacht zu haben. Trotz der Müdigkeit war ich erstaunlich fit. Kein Hungergefühl oder Schmerzen in den Muskeln, die mir sonst immer einen Hinweis darauf gaben, wann ich kurz vor meinem körperlichen Limit war. Ich wusste nicht genau warum ich die Anstrengungen der letzten Stunden erst so spät bemerkte oder warum sie sich so ungewöhnlich schwach äußerten. Vielleicht hatte mein Körper sich mittlerweile an die dauerhafte Belastung und den ständigen Stress gewöhnt. Für mich war es ein Anzeichen dafür, wieder etwas mehr abgestumpft zu sein. Vor den Eindrücken um mich herum gab es kein Entkommen. Ich konnte es nur irgendwie durchstehen.
Emil führte uns in den Teil des Stützpunktes, in den ich auch schon für meine ‚Untersuchung‘ gebracht worden war. Sofort hatte ich wieder diesen süßlich stechenden Krankenhausgeruch in der Nase. Desinfektionsmittel mit einer übertrieben starken Chlor-Note. Wir gingen diesmal weiter in den Trakt hinein und durch eine zusätzliche Sicherheitskontrolle. Zumindest bot sich uns am Durchgang das gewohnte Bild von uniformierten Männern. Weit und breit keine Patienten und nur vereinzelt tauchten Personen in weißen Kitteln auf. Emil tippte einen Code in ein Pad an der Wand und nachdem ein kleines, blaues Licht aufleuchtete, passierten wir den Durchgang. Keine Tür öffnete sich oder Ähnliches. Es war scheinbar nicht einmal eine da. Ich fragte mich, was überhaupt passiert wäre, wenn man den Durchgang einfach durchschritten hätte. So
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