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ALTEA (Sturmflut) (German Edition)

ALTEA (Sturmflut) (German Edition)

Titel: ALTEA (Sturmflut) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Suslik
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einer Weile auch Gry. Nur ich saß noch immer da und tat nichts. Zögerlich stand ich auf und strich vorsichtig mit den Fingern über die Ballonseide. Rot, Blau, Weiß. Es waren die Farben meiner Heimat, doch ich verband mit ihnen nichts. Ich kannte das Banner aus Büchern, doch es weckte keine Emotionen. Es gehörte in die Vergangenheit. Selbst, wenn wir Europa befreien konnten, war der logische Weg nicht der, zurück zu einer alten Ordnung. Dieses Europa existierte nicht mehr und es konnte auch nie mehr so werden. Wir waren jetzt ein anderes Volk. Ein Volk. So viel Schlechtes es auch mit sich gebracht hatte, ich konnte keinen Unterschied mehr machen. Alle Menschen in Europa, so merkwürdig es auch klang, waren mir nah. Wir hatten alle das Gleiche erlitten und sind durch dieselben Krisen gegangen. Wenn ich kämpfen würde, dann für alle. Ich nahm vorsichtig meinen Namenszug und legte ihn auf den Tisch. Ich würde ihn nicht tragen. Welche Rolle spielte mein Name jetzt noch? Dann nahm ich die Fahne hin, packte sie dort, wo die Nähte die einzelnen, farbigen Teile zusammenhielten und riss sie auseinander. Es war nicht sehr schwer und ich brauchte nur am Anfang etwas mehr Kraft. Sie waren vermutlich auf die Schnelle provisorisch aus Reststoffen zusammengenäht worden. Wozu sollte man sie auch herstellen? Die schockierten Blicke, die auf mir ruhten, nahm ich deutlich war, doch niemand hielt mich von meiner Aktion ab. Ich legte das rote und das weiße Stück zurück auf den Tisch und reichte Aljoscha das blaue Stück der Flagge.
             „Wärst du so nett?“ Bat ich ihn, mit der Ballonseide in meiner Hand.
             „Aber sicher.“ Er nahm sie mir ab und band sie mir dann um den rechten Oberarm. Blau war die Farbe meines Kontinents. Es war alles, was ich hatte, um das Gefühl auszudrücken, das ich wirklich in mir trug. Für alle oder für niemanden. Ich sah Aljoscha noch für eine Weile in die Augen und versuchte mich auf diese Art von ihm zu verabschieden. Ich wollte ihm mit meinen Augen alles sagen, was ich nie ausgesprochen hatte, aber das war unmöglich. Vermutlich konnten aber auch Worte jetzt nicht alles sagen. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich ihn in diesem Moment, zum allerletzten Mal sah. Er sollte zumindest wissen, wie bewusst ich mir dessen war. Bei diesen Gedanken fing mein Herz sofort an schneller zu schlagen und ich fühlte, wie pure Verzweiflung langsam Besitz von mir ergriff. Wieder einmal wollte ich weinen, ließ es jedoch nicht zu. Stattdessen versuchte ich zu lächeln, versagte aber wie immer kläglich. Er erwiderte den Blick mit seinem typischen, alles durchdringenden Lächeln, das für mich mittlerweile wie Luft zum Atmen geworden war.
             „Es geht los.“ Mit diesen Worten legte Radu seinen Arm um meine Schulter und zog mich mit sich Richtung Ausgang. Ich blickte noch einmal zu Aljoscha zurück, der mich noch immer ansah. Sein Lächeln war verschwunden.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
    14

 
    Wir gingen durch den Fuhrpark, in dem die Kälte der klaren Nacht zu spüren war. Ich konnte meinen Atem sehen, während wir auf den Ausgang zugingen. Die Nervosität hatte ganz Besitz von mir ergriffen und es kam mir so vor, als würde alles um mich herum im Zeitraffer ablaufen. Ich hörte alles, doch jedes Geräusch drang nur als dumpfes Dröhnen an mein Ohr. Mein Herz schlug so schnell, dass das Rauschen meines Blutes alles übertönte. Mein Körper war bis zum Zerreißen angespannt, jeder Schritt fühlte sich an, als würde ich langsam in Treibsand versinken. Durch das große Tor vor uns, konnte ich Radu sehen, der bereits draußen war. Er stand an einem der Helis und sprach mit jemandem. Es war vermutlich Aljoscha. Er musste ihm letzte Instruktionen geben, um seinen Platz als Kontaktmann einnehmen zu können. Dieser Anblick verschlimmerte meine Nervosität im Bruchteil einer Sekunde. Wir verließen den Fuhrpark und der Geruch von Benzin, machte dem Duft von eiskalter, reiner Luft Platz. Über uns lag ein sternenklarer Nachthimmel. Ich konnte Sterne sehen. Die Erinnerung an diesen Anblick kam langsam wieder. Ich hatte sehr lange schon Keine mehr gesehen. Sie waren wunderschön. Panik ergriff mich und meine Atmung wurde hektisch. Jedes Mal hatte mich der Überlebenskampf einfach überrascht. Hineingeworfen in einen Kampf um Leben und Tod, blieb keine Zeit darüber nachzudenken. Ich hatte einfach gehandelt. Zum ersten Mal begab ich mich

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