Alter Adel rostet nicht
lieber mich heiraten möchte, will er sie auch gar nicht heiraten. Er hält sich nämlich für einen vom Schicksal Auserwählten, dem eine Heirat bei der Erfüllung seiner Mission nur hinderlich wäre. Darin stimmt er mit Napoleon überein.«
Ich bat Gussie, mich erst mal über diesen Spode aufzuklären, bevor er mit seiner Geschichte fortfuhr. Unter einem vom Schicksal Auserwählten konnte ich mir einfach nichts vorstellen.
»Was meinst du mit ›seiner Mission‹? Ist er denn was Besonderes?«
»Liest du keine Zeitung? Roderick Spode ist der Gründer und Führer der Bewegung ›Retter Britanniens‹. Es ist eine stramm vaterländisch gesinnte Organisation, deren Mitglieder auch als Schwarzhosen bekannt sind. Von Zeit zu Zeit kriegt er in einem der Krawalle, die er und seine Kumpane gern vom Zaun brechen, mit dem Bierkrug eins über den Schädel, und ansonsten träumt er davon, einmal Diktator zu werden.«
»Na, hat man Töne!«
Ich war tief beeindruckt von meinem Scharfblick. Sicherlich können Sie sich noch erinnern, daß ich gleich beim ersten Mal, als ich Spode zu Gesicht bekam, zu mir gesagt habe: »Da schau her, der reinste Diktator!« Und nun stellte sich heraus, daß er wirklich ein Diktator war. Besser hätte ich es auch nicht treffen können, wenn ich einer von diesen Detektiven gewesen wäre, die nur einen Kerl auf der Straße zu sehen brauchen und schon wissen, daß er ein pensionierter Strickmaschinenvertreter namens Robinson ist, der in der linken Schulter Rheuma hat und in Clapham wohnt.
»Also so was! Ich hab’s ja geahnt. Dieses Kinn … dieser Blick … Und dann noch dieser Schnurrbart! Aber wenn du Schwarzhosen sagst, dann meinst du doch wohl Schwarzhemden?«
»Nein, nein. Zu der Zeit, als Spode seinen Verein gründete, war die Idee mit den Hemden schon vergeben. Er und seine Mannen tragen schwarze Pfadfindershorts.«
»Du meinst diese dreiviertellangen Dinger?«
»Ja.«
»Das muß ja bescheuert aussehen!«
»Ja.«
»Und sie laufen mit nackten Knien herum?«
»Jawohl, mit nackten Knien.«
»Allmächtiger!«
»Ja.«
Dann schoß mir ein so abscheulicher Gedanke durch den Kopf, daß ich um ein Haar meinen Glimmstengel fallen ließ.
»Sag bloß nicht, der alte Bassett trägt auch schwarze Shorts.«
»Nein. Er ist kein Mitglied bei den Rettern Britanniens.«
»Und warum ist er dann mit Spode so dicke? Als ich die beiden in London traf, liefen sie herum wie zwei Matrosen auf Landurlaub.«
»Sir Watkyn ist mit seiner Tante verlobt, einer gewissen Mrs. Wintergreen, der Witwe von Colonel H. H. Wintergreen aus der Pont Street.«
Ich schloß für einen Augenblick die Augen und versuchte, mich an die Szene bei dem Antiquitätenhöker zu erinnern.
Wenn man auf der Anklagebank sitzt und vom Richter über den Rand seines Kneifers fixiert und per »Angeklagter« angeredet wird, dann hat man ausgiebig Gelegenheit, den Mann zu studieren; und neulich in der Bosher Street war mir vor allem aufgefallen, wie übellaunig Sir Watkyn Bassett war. In dem Geschäft dagegen hatte er mopsfidel gewirkt. Er war herumgehüpft wie ein verliebter Kater auf einem heißen Blechdach und hatte sich immer wieder, wenn er etwas aus dem alten Trödel herausgefischt hatte, mit säuselnder Stimme bei Spode erkundigt: »Würde das nicht Ihrer Tante gefallen?« oder: »Wie wäre es damit?« und so weiter. Jetzt konnte ich mir denken, wie diese Quirligkeit zu erklären war.
»Ich glaube, Gussie«, sagte ich, »daß es gestern bei dem alten Knaben gefunkt hat.«
»Schon möglich. Aber das gehört jetzt nicht zur Sache.«
»Nein, aber es ist doch interessant.«
»Ist es nicht.«
»Na, vielleicht hast du recht.«
»Wir wollen uns nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten«, sagte Gussie streng wie ein Vorsitzender, der die Versammlung zur Tagesordnung ruft. »Wo war ich stehengeblieben?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Aber ich weiß es. Ich sagte, daß Sir Watkyn mich nicht zum Schwiegersohn haben will. Aber auch Spode war gegen diese Verbindung. Und daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Ständig hat er mir in dunklen Ecken aufgelauert und finstere Drohungen ausgestoßen.«
»Und das hat dir wenig Freude gemacht.«
»Allerdings!«
»Weshalb hat er diese finsteren Drohungen ausgestoßen?«
»Nun, er würde zwar Madeline nicht heiraten, auch wenn sie ihn heiraten wollte, aber er betrachtet sich als eine Art Gralsritter, der sie bewacht und beschützt. Immerzu redet er davon, daß ihm das Glück dieser jungen Maid
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