Alter schützt vor Scharfsinn nicht
Schimmel mit wehenden Mähnen und Schwänzen. In Tuppence’ Fantasie war die Jagd über eine grüne Wiese gegangen, dann um ein Beet mit Pampasgras, dessen fedrige Rispen im Wind wehten, dann bergauf einen ähnlichen Pfad entlang bis zu einer solchen Nische, in der der Knabe mit dem Korb auf dem Kopf stand. Jedes Mal, wenn sie auf ihrem Schimmel ritt, hatte sie ein Geschenk mitgebracht, das sie in den Korb legte, und sich etwas gewünscht. Der Wunsch, daran erinnerte sich Tuppence, war fast immer in Erfüllung gegangen.
»Aber nur«, sagte sie jetzt und setzte sich auf die oberste Stufe, »weil ich gemogelt habe. Ich habe mir einfach etwas gewünscht, von dem ich mit ziemlicher Sicherheit wusste, dass es in Erfüllung gehen würde, und konnte mir so einbilden, der Zauber hätte gewirkt. Es war eine richtige Opfergabe für einen echten alten Gott. Dabei war es ja nur ein pausbäckiger kleiner Junge. Ach, war das herrlich, als man sich so viel ausgedacht und an so viel geglaubt hat!«
Sie seufzte, stand auf und kehrte über den Pfad zu dem kleinen Glashaus zurück.
Das Schaukelpferd sah immer noch verloren und mitgenommen aus, aber Tuppence wurde durch zwei andere Gegenstände von ihm abgelenkt – Stühle aus Porzellan, um die sich weiße Schwäne schlangen. Ein Stuhl war dunkelblau, der andere hellblau.
»So was hab ich auch schon mal gesehen!«, rief sie. »Ja, so ähnliche Dinger standen auf der Veranda meiner Tante. Wir nannten sie Oxford und Cambridge, wegen der Farben der Mannschaften bei der Ruderregatta. Sie sahen genauso aus! Oder waren es Enten? Nein, es waren auch Schwäne. Und im Sitz hatten sie ein merkwürdiges Loch, das wie ein S geformt war und in das man etwas hineinstecken konnte. Ich werde Isaac bitten, die Stühle rauszutragen und gründlich abzuwaschen. Dann können wir sie auf die Loggia stellen – obwohl ich sie lieber Veranda nenne. Wir stellen sie auf und werden unsere Freude daran haben, wenn es wärmer ist.«
Sie drehte sich um, um zur Tür zu laufen. Ihr Fuß blieb in Mathildes vorstehendem Schaukelbogen hängen.
»Oje!«, sagte Tuppence, »was habe ich jetzt angestellt?«
Sie war über den dunkelblauen Porzellanstuhl gestolpert, hatte ihn umgerissen, und er war in zwei Teile zerbrochen.
»Ach, jetzt habe ich Oxford erlegt. Wie schade! Nun müssen wir uns mit Cambridge allein begnügen. Ich weiß nicht, ob man ihn wieder kitten kann. Es wird schwierig sein.«
Sie seufzte und überlegte, was Tommy wohl gerade tat.
Tommy saß mit alten Freunden zusammen und tauschte Erinnerungen aus.
»Auf der Welt geht’s komisch zu«, sagte Oberst Atkinson. »Ich habe gehört, dass Sie und Ihre Frau Prudence – nein, Sie hatten einen Spitznamen für sie, Tuppence –, dass sie jetzt auf dem Land wohnen. In der Nähe von Hollowquay. Wie sind Sie auf diese Gegend gekommen? Aus einem bestimmten Grund?«
»Ach, wir haben das Haus ziemlich günstig kaufen können.«
»Aha. Na, das ist schon ein Glück, was? Wie heißt es denn? Sie müssen mir Ihre Adresse geben.«
»Den Namen wissen wir noch nicht. Vielleicht Zeder n haus, weil eine sehr schöne Zeder davor wächst. Eigentlich heißt es Lorbeerhaus, aber das hört sich zu viktorianisch an, finden Sie nicht auch?«
»Das Lorbeerhaus! Das Lorbeerhaus in Hollowquay! Sagen Sie mal, was haben Sie vor? Da steckt doch was dahinter?«
Tommy blickte erstaunt in das faltige Gesicht mit dem buschigen Schnurrbart.
»Was haben Sie vor?«, wiederholte Oberst Atkinson. »Sind Sie etwa wieder im Staatsdienst?«
»Dazu bin ich viel zu alt«, sagte Tommy. »Ich bin längst pensioniert.«
»So, so? Da bin ich mir nicht ganz sicher. Vielleicht behaupten Sie es nur. Vielleicht müssen Sie auch so tun. Wissen Sie, schließlich ist damals bei der Geschichte nie alles geklärt worden.«
»Bei welcher Geschichte?«
»Sie werden darüber gelesen oder davon gehört haben. Es war der Cardington-Skandal. Er passierte nach dem anderen Fall mit den berühmten Briefen – und der Sache mit Emlyn Johnson und dem U-Boot.«
»Hm«, machte Tommy. »Ich habe nur eine vage Erinnerung.«
»Er stand nicht in direktem Zusammenhang mit der U-Boot-Affäre, aber dadurch kam er ins Rollen. Und da waren jene Briefe, die es politisch an die große Glocke gehängt hätten. Ja, die Briefe! Wenn sie sie hätten an sich bringen können, wäre es ganz anders gekommen. Dann wären einige Leute aufgefallen, die damals in der Regierung saßen und größtes Vertrauen genossen.
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