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Alter schützt vor Scharfsinn nicht

Alter schützt vor Scharfsinn nicht

Titel: Alter schützt vor Scharfsinn nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Besonderen und den höflichen Abschiedsgrüßen von Menschen, die sich über die Rolle, die die Musik in ihrem Leben spielt, völlig einig sind.
    »Mit dem Haus haben Sie sicher eine Menge Arbeit«, sagte er nach einem Rundblick.
    »O ja. Es stand lange leer.«
    »Das stimmt. Es hat häufig den Besitzer gewechselt…«
    »… und müsste viel über seine Vergangenheit erzählen können, nicht wahr? Über seine Bewohner und die merkwürdigen Dinge, die passiert sind.«
    »Ach, Sie meinen sicher die bewusste Geschichte. Ich weiß nur nicht, ob es im letzten Krieg war oder in dem davor.«
    »Es hatte etwas mit der Marine und mit Spionage zu tun«, sagte Tuppence hoffnungsvoll.
    »Schon möglich. Es gab viel Gerede, aber ich selber weiß nichts Bestimmtes.«
    »Ja, das muss lange vor Ihrer Zeit gewesen sein.« Tuppence sah den jungen Mann abschätzend an.
    Als er gegangen war, setzte sie sich an den Flügel.
    »Ich werde mal das Regentropfenpräludium spielen«, sagte sie. Die Erinnerung daran hatte der Klavierstimmer mit den wenigen Takten Chopin wachgerufen. Danach griff sie ein paar Akkorde und spielte die Begleitung zu einem Lied, dessen Text sie erst summte und dann leise vor sich hin murmelte.
     
    »›Wahre Liebe, wo bist du geblieben?
    Wahre Liebe, so geh doch nicht fort!
    Hoch in den Bäumen singen die Vöglein,
    wahre Liebe, wann kommst du zurück?‹«
     
    »Ich glaube, ich spiele es in der falschen Tonart, aber der Flügel ist wenigstens richtig gestimmt. Ach, wie herrlich, dass ich jetzt wieder spielen kann. ›Wahre Liebe, wann kommst du zurück?‹«, murmelte sie. »Wahre Liebe«, wiederholte sie nachdenklich. »Ja. Das scheint mir ein Wink zu sein. Vielleicht sollte ich hinausgehen und mich um Wahreliebe kümmern!«
    Sie zog feste Schuhe und eine Wolljacke an und ging in den Garten. Wahreliebe war nicht in ihrem früheren Heim, im Ka-Ka abgestellt, sondern im leeren Stall. Sie holte das Gespann heraus, zog es auf den grasbewachsenen Hügel hinauf, wischte es energisch mit dem mitgebrachten Staubtuch ab, um die letzten noch daran haftenden Spinnweben zu entfernen, stieg auf und versuchte Wahreliebe, so gut es ihr Alter und das schäbige Fahrzeug erlaubten, in Gang zu bringen.
    »Und nun, du meine wahre Liebe«, sagte sie, »lauf bergab, aber bitte, nicht zu schnell.«
    Wahreliebe hatte es nicht sehr eilig. Langsam begann Tuppence bergab zu rollen. Dann wurde der Hang plötzlich steiler, Wahreliebe gewann an Tempo. Tuppence bremste etwas zu scharf und landete am Fuße des Hügels in einem besonders kratzigen Ast der großen Araukarie.
    »Au, das tut weh!«, sagte sie, während sie sich herausarbeitete.
    Nachdem sie sich ein paar Erdspuren abgeklopft hatte, sah sie sich um. Sie stand vor einem Gewirr dichter Büsche, die die andere Seite des Hügels hinaufwuchsen, Rhododendronbüsche und Hortensien, die im späten Frühjahr sicher sehr schön blühen würden. Im Augenblick hielt sich die Schönheit in Grenzen; es war nur ein Dickicht. Dennoch entdeckte sie, dass früher einmal ein Pfad hindurchgeführt haben musste. Jetzt war alles überwuchert, aber man konnte die Richtung noch erkennen. Sie brach ein paar Zweige ab, zwängte sich durch die Büsche und folgte dem sich hügelaufwärts windenden Pfad. Es war klar, dass er seit Jahren nicht mehr freigeschnitten und benützt worden war.
    »Ich bin gespannt, wo er endet«, murmelte Tuppence. »Ein Pfad muss ein Ziel haben.«
    Der Weg machte mehrere Kurven, dann stand der Rhododendron nicht mehr so dicht, dafür tauchten Lorbeerbüsche auf – vielleicht waren sie es, die dem Haus den Namen gegeben hatten –, und der Pfad wurde steiler, schmaler und steiniger. Er endete abrupt vor vier moosbewachsenen Stufen zu einer Art Nische, die einmal von einem Eisengitter umgeben gewesen sein musste und jetzt von umgedrehten Flaschen eingefasst wurde. In der Mitte stand ein Steinsockel mit einer verwitterten steinernen Statue. Es war ein Knabe mit einem Korb auf dem Kopf. Ein Gefühl des Wiedererkennens stieg in Tuppence auf.
    »Nach solchen Statuen kann man das Alter eines Gartens bestimmen«, sagte sie. »Tante Sarah hatte auch so eine Putte. Und viele Lorbeerbüsche.«
    In Gedanken war sie wieder bei Tante Sarah, die sie als Kind manchmal besucht hatte. Sie hatte dort, fiel ihr jetzt ein, ein Spiel gespielt, das sie Pferde am Fluss nannte. Für Pferde am Fluss brauchte man einen Reifen. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Ihr Reifen spielte die Rolle der Pferde,

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