Alter schützt vor Scharfsinn nicht
konnte. Vermutlich hat er das Material des Marinespions übernommen und nach London gebracht.«
Tuppence wickelte die Brieftasche in ihr Halstuch und kehrte mit ihrem Mann ins Haus zurück.
»Vielleicht enthält sie noch andere Papiere«, sagte sie dann. »Die meisten werden wohl so mürbe sein, dass sie zerfallen, sobald man sie anrührt. Ah, was ist denn das?«
Auf dem Tisch in der Diele lag ein dickes Päckchen. Albert tauchte aus dem Esszimmer auf.
»Es wurde persönlich für Sie abgegeben, Madam. Durch Boten.«
»Na, jetzt bin ich neugierig.« Tuppence nahm es mit ins Wohnzimmer, knotete den Bindfaden auf und wickelte das braune Packpapier ab.
»Es muss ein Album sein«, sagte sie. »Ach, da ist ein Brief. Von Mrs Griffin.« Sie las laut vor:
»Liebe Mrs Beresford,
es war so freundlich von Ihnen, mir das Geburtstagsbuch zu bri n gen. Ich habe es mit großer Freude durchgeblättert und mich an viele alte Freunde erinnert. Man vergisst so rasch. Manc h mal weiß, ich nur noch einen Vornamen und komme nicht mehr auf den Nachnamen, manc h mal geht es mir umgekehrt. Vor Kurzem ist mir dies alte A l bum in die Hand geraten. Es stammt aus meiner Familie. Auf den Bildern sind auch e i nige Parkinsons zu sehen. Ich schicke es Ihnen, weil Sie sich so sehr für die Geschichte Ihres Hauses und seine früheren Bewohner interessie r ten. Sie brauchen es mir nicht zurückzugeben, da es mir nicht so viel b e deutet. In einem alten Haus sammelt sich manches an, was Ta n ten oder Großmüttern gehörte. Neulich habe ich in einer alten Kommode auf dem Dachboden sechs Nadelbücher gefunden. Vie l leicht sind sie hundert Jahre alt und haben meiner Großmutter gehört, die zu Weihnachten so l che Dinge an die Hausmädchen verschenkte. Sie kaufte sie schon vo r zeitig und legte sie für das nächste Jahr bereit. Was soll man jetzt damit anfangen? Ist es nicht traurig wenn man bedenkt, wie viele Dinge im Laufe der Zeit vergeudet we r den?«
Tuppence schwieg einen Augenblick. »Ein altes Fotoalbum«, sagte sie dann: »Wie hübsch. Sehen wir es uns näher an.«
Sie setzten sich nebeneinander auf das Sofa. Das Album war typisch für die damalige Zeit, die meisten Bilder waren stark verblichen, dennoch erkannte Tuppence gelegentlich im Hintergrund bestimmte Partien aus ihrem Garten.
»Sieh mal, da ist die Araukarie. Ja – oh, und schau, da steht Wahreliebe! Das muss alt sein. Und der komische kleine Junge hier hinter Wahreliebe. Da ist die Glyzinie und da das Pampasgras. Das war sicher ein Gartenfest. Ja, hier sitzen viele Leute um einen runden Tisch. Sogar Namen stehen darunter: Mabel. Na, Mabel ist keine Schönheit. Und wer ist das?«
»Charles«, las Tommy. »Charles und Edmund. Die beiden scheinen Tennis gespielt zu haben. Was für seltsame Schläger sie hatten. Der da ist William, und dann kommt Major Coates.«
»Und das ist – oh, Tommy! –, das ist Mary!«
»Ja, tatsächlich, Mary Jordan. Ihr Name ist ganz ausgeschrieben.«
»Sie war hübsch, sehr hübsch sogar. Das Bild ist blass und alt, aber – ich finde es so schön, Mary Jordan endlich in voller Größe zu sehen.«
»Wer das Bild wohl aufgenommen hat?«
»Vielleicht der Fotograf, von dem Isaac sprach. Der aus dem Dorf. Vielleicht hat er noch mehr alte Fotos. Ich muss mal hingehen und fragen.«
Tommy hatte das Album zur Seite gelegt und öffnete einen Brief, der mit der Mittagspost gekommen war.
»Ist es was Interessantes?«, fragte Tuppence. »Es sind drei Briefe da, zwei sind Rechnungen, das erkenne ich sofort. Der letzte sieht anders aus. Tommy, ich habe gefragt, ob er interessant ist?«
»Möglicherweise schon. Ich muss morgen wieder nach London.«
»Zu den üblichen Vereinssitzungen?«
»Diesmal nicht. Ich werde jemand besuchen. Übrigens nicht direkt in London, sondern außerhalb. In der Nähe von Harrow offenbar.«
»Davon hast du mir gar nichts erzählt.«
»Ich besuche einen gewissen Oberst Pikeaway.«
»Was für ein Name«, sagte Tuppence.
»Ja, komisch, nicht?«
»Kann ich ihn schon mal gehört haben, Tommy?«
»Mag sein, dass ich ihn erwähnte. Der Oberst lebt sozusagen in einer Atmosphäre von dichtem Rauch. Übrigens, hast du Hustenbonbons, Tuppence?«
»Hustenbonbons? Ich glaube, ja. Es muss noch eine angebrochene Dose vom letzten Winter da sein. Aber du hast doch keinen Husten. Wenigstens ist es mir nicht aufgefallen.«
»Nein, aber wenn ich Pikeaway besuche, werde ich ihn garantiert bekommen. Soweit ich mich erinnere,
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