Alter schützt vor Scharfsinn nicht
gleich darauf.
»Das klingt schon besser. In welchem Teil von Mathilde ist es?«
»In der Nähe des Blinddarms oder der Leber«, erklärte Tommy fachmännisch. »Rechts. Ich werde die Operation weiterführen.«
»Sehr wohl, Doktor. Was es auch ist, Sie sollten es entfernen.«
Das so genannte Buch war ein abgegriffenes dickes Heft mit fleckigen losen Seiten und brüchigem Einband.
»Ein Lehrbuch«, sagte Tommy. »Pour les e n fants. Le Petit Préce p teur.«
»Hm. Jetzt denke ich dasselbe wie du vorhin. Das Kind wollte kein Französisch lernen, darum ging es zu Mathilde und schob es ihm in den Bauch. Brave alte Mathilde.«
»Aber wenn das Schaukelpferd richtig dastand, muss es sehr schwierig gewesen sein, etwas in das Loch hineinzustecken.«
»Nicht für ein Kind«, sagte Tuppence. »Da stimmte die Höhe. Ich meine, ein Kind konnte drunterkriechen. Jetzt kommt was Glattes. Es fühlt sich wie die Haut eines Tieres an.«
»Wie unangenehm! Ein totes Kaninchen?«
»Nein, kein Fell. Ich habe gar kein gutes Gefühl. Br! Da ist schon wieder ein Nagel. Das Ding scheint an einem Nagel zu hängen. Ich habe ein Stück Bindfaden oder Leine in der Hand. Merkwürdig, dass er so lange gehalten hat, nicht?«
Sie zog ihre Beute vorsichtig hervor.
»Ach, eine Tasche. Und aus echtem Leder.«
»Lass mal sehen, ob was drin ist«, sagte Tommy neugierig.
»Vielleicht sind es lauter Geldscheine«, fügte Tuppence hoffnungsvoll hinzu.
»Na, damit könnten wir wohl nichts mehr anfangen. Papier zerfällt.«
»Nicht unbedingt. Vieles ist dauerhafter, als man denkt. Die Fünfpfundscheine waren früher aus besonders gutem Papier. Sehr dünn und haltbar.«
»Vielleicht ist es sogar ein Zwanziger, ein hübscher Zuschuss zur Haushaltskasse.«
»Wie? Oh, das Geld muss aus der Zeit vor Isaac stammen. Sonst hätte er es wohl längst gefunden, meinst du nicht? Stell dir vor, es wären hundert Pfund! Noch lieber wären mir Goldmünzen – Sovereigns. Zwanzigshillingstücke waren immer im Geldbeutel. Meine Großtante Maria besaß eine Menge, die sie uns Kindern manchmal zeigte. Falls die Franzosen kämen, hat sie gesagt. Ich war begeistert und habe mir immer gedacht, wie schön es sein müsste, wenn man erwachsen wäre und auch so einen Beutel voll Goldstücke hätte.«
»Und wer hätte dir so einen Beutel geben sollen?«
»Ich nahm nicht an, dass ihn mir jemand schenken würde. Ich dachte einfach, er stünde einem zu, wenn man erst mal erwachsen ist. Weißt du, richtig erwachsen mit einem Mantel mit Pelzkragen und Hut. Und eben einem dicken, prallen Beutel voll Goldstücke. Wenn der Lieblingsenkel wieder ins Internat fuhr, erhielt er eins als Abschiedsgeschenk.«
»Und die Mädchen und die Enkelinnen?«
»Die bekamen, glaube ich, keine Goldstücke. Manchmal schickte mir meine Tante einen halben Fünfpfundschein.«
»Die Hälfte? Warum?«
»Sie hat ihn durchgerissen, mir den einen Teil in einem Brief und den anderen im nächsten geschickt, als Vorsichtsmaßnahme gegen Diebstahl.«
»Du liebe Zeit! Was waren die Leute damals misstrauisch.«
»Ja, mehr als wir. Oh, da habe ich was!«
Tuppence steckte die Finger in die Tasche.
»Lass uns mal einen Augenblick nach draußen gehen und Luft schnappen«, schlug Tommy vor.
Dann standen sie vor dem Glashaus. Im Tageslicht ließ sich die Beute besser besichtigen. Es war eine Art dicker Brieftasche aus gutem Leder, das vor Alter steif geworden, aber sonst nicht beschädigt war.
»Vermutlich war es in Mathildes Bauch ganz trocken«, sagte Tuppence. »Errätst du, was drin ist?«
»Nein. Auf jeden Fall kein Geld und Gold schon gar nicht.«
»Ich glaube, es sind Briefe. Ich weiß nicht, ob sie noch leserlich sind. Sie sind sicher sehr alt und verblasst.«
Vorsichtig nahm Tommy die zerknitterten gelben Blätter heraus und hielt sie fächerförmig auseinander. Die Schrift war ziemlich groß, die Tinte musste einmal glänzend und schwarz-blau gewesen sein.
»Neuer Treffpunkt«, las er. »Ken Gardens beim Peter Pan. Mittwoch, den 25. Um 16.30 Uhr. Joanna.«
»Jetzt glaube ich wirklich, dass wir etwas entdeckt haben, Tommy.«
»Du meinst, dass jemand einen bestimmten Tag angegeben bekam, an dem er in London in Kensington Gardens eine bestimmte Person treffen sollte, um die Papiere oder Pläne oder was es nun war zu übergeben? Wer, glaubst du, hat das wohl rausgeholt oder hineingesteckt?«
»Sicherlich kein Kind. Es muss jemand gewesen sein, der im Haus wohnte und sich darum frei bewegen
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