Altern Wie Ein Gentleman
Mitbürgern gemeint. Statt ausgedehnter Reisen in ferne Länder und die Flucht vor kaltem Wetter an sonnige Strände wird der tägliche Gang in den dritten Stock des Nachbarhauses auf dem Terminkalender stehen, denn dort muss eine alte Dame versorgt und gewaschen werden. Die stets naheliegende Befürchtung, die Alten nähmen den Jungen die Arbeitsplätze weg, wird bald hinfällig sein, denn es werden nicht mehr genügend Arbeitskräfte für die Pflegedienste bereitstehen.
Andernorts hat man das Projekt »Alte helfen ihresgleichen« bereits in Angriff genommen. In der Seniorenresidenz »Steps to Heaven« in Florida, von der schon häufiger die Rede war, werden die Bewohner unter anderem in der Sterbebegleitung eingesetzt. Wenn es dem Ende zugeht und ein Bewohner sein Bett nicht mehr verlassen kann, sorgen die anderen dafür, dass er nicht alleine bleibt. »Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, bis zum Ende, wenn er will«, erzählt Mark Sullivan, der ehrenamtlich für den reibungslosen Ablauf der Betreuung zuständig ist. »Unsere Neuen tun sich anfänglich schwer damit, denn wir alle verdrängen gerne das Leid und den Tod. Aber nach wenigen Tagen kommen sie zurecht. Im Grunde ist es eine gute Vorbereitung auf die eigene Vergänglichkeit. Mir hilft es. Das höre ich auch von anderen.«
Nach festem Plan leisten die Heimbewohner den Sterbenden für jeweils zwei Stunden Gesellschaft. Sie reden und schweigen. Ich habe sie singen und lachen und weinen gehört. Sie sprechen Trost zu und erledigen nebenbei die zahlreichen Handreichungen, für die hierzulande ausgebildetes Personal zuständig ist. »Ich mache gerne Nachtschichten und schaue ihnen beim Schlafen zu«, fährt Mark fort, »hin und wieder schlagen sie die Augen auf, sind eine kleine Weile ratlos, bis sie sich zurechtgefunden haben. Dann lächeln sie dankbar. Das sind die schönsten und intimsten Momente während dieser stillen Stunden. Wir lassen nicht zu, dass einer von uns allein und verlassen stirbt. Professionelle Hilfe wäre zu teuer, deswegen nehmen wir die Sache selbst in die Hand. Ist das bei euch anders?«
Wir werden uns an dem amerikanischen Vorbild in naher Zukunft ein Beispiel nehmen müssen, wenn wir das Greisenalter unter menschenwürdigen Umständen erleben wollen.
Die Einsicht, im Alter nacharbeiten zu müssen, scheint bei meiner Generation allmählich anzukommen. Untersuchungen zum Thema berichten übereinstimmend, dass die Bereitschaft zur unentgeltlichen Mitarbeit gewachsen ist, vor allem für die neuen Formen des Ehrenamts, »bürgerschaftliches Engagement« genannt, das nicht mehr an die traditionellen Institutionen und Organisationsformen gebunden ist. Die landläufige Vorstellung vom Alten, der träge und teilnahmslos den Rest seines Lebens im Ohrensessel hinter sich bringt, war ohnehin stets falsch. Die meisten Menschen »suchen sich nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit neue Aufgaben, und sie genießen dabei die Freiwilligkeit ihres Engagements«, heißt es in einer Studie zum Thema.
Das gelingt am ehesten, wenn das Ehrenamt auch persönliche Bedürfnisse befriedigt und mit unseren eigenen Interessen übereinstimmt. Und im Ehrenamt geht es zu wie im richtigen Leben: Einige Ämter haben hohen sozialen Status, andere genießen geringes Ansehen.
Zu letzterer Kategorie gehört sicherlich die Mitarbeit in der Kleiderausgabe der »Oase«, eines Obdachlosentreffpunkts auf der Deutzer Seite von Köln. Vor allem im Winter, wenn die Bedürftigen festes Schuhwerk brauchen und man ihnen beim Ausziehen der Turnschuhe, die sie den Sommer über getragen haben, behilflich ist, kann aus dem großherzigen Engagement beschwerliche Pflicht werden. Wer allerdings auf der Suche nach ehrlicher Dankbarkeit, rasch entstehender Nähe und Gesprächen über verschlungene, hoffnungslose Lebensläufe ist, wird sich hier wohlfühlen.
Peter hat nach einem ungewöhnlich unsteten Leben schließlich zu einer ruhigen Gelassenheit gefunden. Nun, im siebten Lebensjahrzehnt, verbringt er die Tage in der »Oase« und kümmert sich unentgeltlich um die täglichen Mahlzeiten, kocht und organisiert den Einkauf von Lebensmitteln. »Ich mag diese Menschen. Ich höre mir gerne ihre oft abenteuerlichen Geschichten an. Sie geben auch zurück: das Gefühl, gebraucht zu werden, einen Tagesablauf mit verbindlichen Pflichten und gelegentlich Freundschaften. Ein Ehrenamt beruht auf Geben und Nehmen«, beschreibt er knapp eine vielschichtige soziale Beziehung.
Einige
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