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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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bleibt bis zum Ende seines Lebens sich selbst und der Gemeinschaft gegenüber verantwortlich und verpflichtet.«
    Das war zweifellos Ausdruck einer sehr pragmatisch-amerikanischen Haltung: Da der Einzelne vom Staat wenig erwarten darf, ist er es gewohnt, auf eigenen Füßen zu stehen. »Jeder ist seines Glückes Schmied« gilt in den USA auch in umgekehrter Richtung. Wer versagt, tut das auf eigene Rechnung und hat die Folgen selbst zu tragen. Um im rauen Klima der gesellschaftlichen Realität zu überleben, muss er sich auf kommunaler Ebene mit anderen zusammentun. Die gegenseitige Unterstützung setzt jedoch voraus, dass sparsam und verantwortungsvoll mit dem Hilfsangebot anderer umgegangen wird und jeder Einzelne ein Gespür für den komplizierten gesellschaftlichen Prozess des Gebens und Nehmens entwickelt. Dazu zählte in »Steps to Heaven« auch die Verpflichtung, den eigenen Körper, solange es die Natur zulässt, funktionsfähig zu halten.
    Am Abend traf ich Kevin zufällig wieder, als er in der Dämmerung eine Pfeife rauchte. »Wir sehen das nicht gerne, deswegen zieh ich mich unter die Palmen zurück.«
    Er war Militärarzt bei der Armee und lange in Deutschland stationiert gewesen. »Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen unser Leben ungewohnt, vielleicht sogar peinlich ist, oberflächlich und schrill. Aber glauben Sie mir, hier ist keiner, der nicht weiß, was ihn erwartet. Wenn wir eines gemeinsam haben, dann die Illusionslosigkeit. Gerade weil wir so oft zusammen sind und uns nicht zurückziehen, kennen wir jedes Detail des Alterns. Wir hoffen nicht mehr als andere, aber wir bedienen uns einer kostbaren menschlichen Eigenschaft: des Mitgefühls, um mit einer schwierigen Situation fertig zu werden. Ich finde, das gelingt uns ganz gut.« Er klopfte seine Pfeife aus, nickte zustimmend und ging.
    Auf dem alten Kontinent steht es bislang jedem frei, wie er sein Alter verbringt. Wer will, darf zu Hause vor dem Fernseher die Zeit vertrödeln, Bier trinken und sich von Hamburgern ernähren. Er tut dies aus freien Stücken und hat für sich vermutlich die richtige Wahl getroffen. Die Ruhe und das Nichtstun, nach denen sich viele nach einem anstrengenden, langen Arbeitsleben sehnen, rechtfertigen diesen Lebensstil. Man nimmt zu und wird allmählich korpulent. Die Muskeln finden kaum noch Beschäftigung und ziehen sich aus dem Körper zurück. Die Bänder werden steif, das Bücken wird mühevoll, das Treppensteigen wird beschwerlich, und aus Schnürsenkeln werden Klettverschlüsse. Man sitzt noch länger und isst noch mehr, bis schließlich ein dicker, alter, unbeweglicher Mensch mit beschädigten Organen entstanden ist. Er beginnt Ärzte zu konsultieren, wird Dauerpatient, braucht teure Medikamente und wird am Ende zum Pflegefall. Diesen Kreislauf und seine Kosten für die Gesellschaft werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können und jeden Einzelnen in die Pflicht nehmen müssen.
    Die Zeiten sind, was die Ästhetik auch des männlichen Körpers betrifft, anspruchvoller geworden, wie sich unschwer in der Kunstgeschichte nachweisen lässt. Die Kunst vergangener Tage hatte sich zwar häufig mit der Vollkommenheit des weiblichen Körpers beschäftigt, selten jedoch von den männlichen Zeitgenossen Ähnliches eingefordert – was vor allem den Machtverhältnissen in traditionellen Gesellschaften geschuldet war, in denen Männer das Definitionsrecht über fast alle Lebensbereiche besaßen und bestimmen konnten, wer mit welchen Merkmalen als begehrenswert zu gelten hatte.
    Eine vorzügliche Darstellung dieser Einseitigkeit finden wir in dem Gemälde »Der Jungbrunnen« von Lucas Cranach d. Ä. Alte Weiber werden dort von links her auf Schubkarren, Tragen und Leiterwagen zu einem Bassin gebracht. Sie waten und planschen durch das hüfthohe Wasser und verlassen es auf der anderen Seite als junge, überaus ansehnliche Frauen, die schnurstracks in einem Zelt verschwinden, um anschließend im weiteren Hintergrund an einem Gelage mit zahlreichen, froh gestimmten Herren teilzunehmen. Inmitten des Beckens steht eine Säule, auf der sich Venus und Amor niedergelassen haben, damit jeder begreift, welchem Zweck das Bassin und seine segensreichen Kräfte dienen.
    Männliche Jungbrunnen hingegen kennt die Kunstgeschichte nicht.
    Zwei Jahrhunderte nach Cranach ersetzte die Aufklärung die Hoffnung auf das Jenseits durch Würde im Diesseits. »Der greise Voltaire«, eine Plastik von Jean-Antoine Houdon vom Ende des18.

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