Altern Wie Ein Gentleman
Basketballteam einer kleinen Universität im Mittleren Westen trainiert hatte. »Letztlich hast du auf der einen Seite Gewichte, auf der anderen einen Griff und mittendrin ein Seil, das über ein Laufrad läuft.« Er hatte, hoch in den Siebzigern, ehrenamtlich die Aufsicht über den Gerätepark übernommen, in dem ständig Betrieb herrschte, und erklärte seinen Mitbewohnern, was sie zu tun und vor allem zu lassen hätten. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie manche neuen Heimbewohner hier angekommen sind und was wir noch aus ihnen gemacht haben. Sprich mit Marcy, die dort drüben gerade an ihrer Rückenmuskulatur arbeitet!«
Zu diesem Zweck zog Marcy langsam eine Stange hinter ihrem Rücken von oben nach unten. »Ich nehme wenig Gewicht und wiederhole die Übung dafür häufiger, das schont die Gelenke«, klärte sie mich beiläufig auf. Sie hatte schmale, aber bemerkenswert feste Oberarme und einen hohen Busen. »Der ist nicht echt«, kommentierte sie unbefangen meinen Blick. »Und die werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr hinkriegen«, sie wies ohne Scheu auf die Innenseite ihrer Oberschenkel, soweit ihre Turnhose Einblick erlaubte, »das ist nun nicht mehr zu ändern. Wichtiger ist, dass mich die Beine tragen.« Ich war sprachlos: Ein derart offener Umgang mit dem eigenen alternden Körper war mir bislang fremd gewesen.
»Bevor ich hierherzog, habe ich meine Tage im Halbdunkelvor dem Fernseher verbracht, zusammen mit meinen drei engsten Freunden Daily Soaps, Chips und Coca Cola«, fuhr Marcy fort. »Ich hatte die Vorhänge zugezogen, damit die Nachbarn nichts bemerkten. Damals hatte ich einige Pfunde mehr drauf, das darfst du mir glauben. Ich sitze immer noch gern vor dem Fernseher mit einer großen Tüte Chips, schließlich gibt man in meinem Alter nicht alle Gewohnheiten auf. Aber wir haben genügend Zeit, um beides zu tun: den Körper in Schuss zu halten und Fernsehen zu schauen.«
Die Alten in Orlando haben begriffen, dass Muskeln das dynamische Prinzip unseres Körpers und die Voraussetzung jeder Form von Bewegung sind. Sie wollen jedoch beschäftigt sein. Wer sie vernachlässigt, den fliehen sie und hinterlassen einen Körper, der mit jedem Tag der Trägheit unbeweglicher wird.
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Altersverlusten und Verschleißfolgen kann die Muskelkraft jedoch wieder instand gesetzt werden. Voraussetzung ist regelmäßiges, intensives, aber häufig eintöniges Training. Mit wöchentlichem Wassertreten und einigen Dehnübungen wird es nicht getan sein.
Genau besehen wissen auch wir seit Langem, was nottut, da-
mit jeder Einzelne von uns nach Maßgabe seiner Möglichkeiten unbeschädigt alt wird. Wir ziehen jedoch kaum Konsequenzen aus diesem Wissen. Eine amerikanische Studie, die über viele Jahre lief, identifizierte sieben Faktoren, die einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit im Alter haben: Techniken der Konfliktbewältigung, das Ausbildungsniveau, eine stabile Ehe, der Verzicht auf Zigaretten, kein Alkohol, sportliche Betätigung und ein schlanker Leib. Die Hälfte der Versuchspersonen, die sechs dieser Faktoren in den ersten fünf Jahrzehnten ihres Lebens beherzigt hatten, waren mit achtzig noch gesund. Von denjenigen, die mit dreien oder weniger ausgekommen waren, keiner mehr.
Zur Ernte des Alterns, von der in tröstlicher Wortwahl so häufig die Rede ist, kann jedoch auch die bittere Einsicht gehören, dass der Lebenswandel der zurückliegenden Jahrzehnte seinen Tribut fordern wird. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke und auf die verrauchten frühen Morgenstunden vor leeren Flaschen, die einst typisch waren für den Journalismus, dann wird mein Alter nicht ohne Spätfolgen bleiben.
Weltweit gibt es vier Landstriche, in denen eine ungewöhnlich hohe Anzahl sehr alter Menschen lebt, die sich guter Gesundheit erfreuen und ohne die lebensverlängernden Maßnahmen einer modernen Medizin häufig über hundert Jahre alt werden. Die Lebensumstände in den vier sogenannten blauen Zonen könnten unterschiedlicher nicht sein: Loma Linda ist eine moderne Kommune, die vor hundert Jahren von Adventisten im Großraum Los Angeles gegründet wurde. Die Insel Okinawa gilt als japanisches Touristenparadies. Die Nicoya-Halbinsel an der Westküste von Costa Rica wird von Fischern bewohnt. Und schließlich zählt auch eine karstige Landschaft an der Ostküste Sardiniens am Fuß der Monti del Gennargentu dazu. Es scheint fast so, als wolle die Natur uns beweisen, dass hohes Alter unter
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