Altern Wie Ein Gentleman
Augenblick, als sie zum letzten Mal durch die langen Flure der Seniorenresidenz auf ihr Zimmer begleitet wurde, um den Rest ihres Lebens, vier lange Jahre, im Bett zu verbringen. »Sie wollten von Beginn an, dass ich still sitze und auf den Tod warte«, beklagte sie sich damals traurig, als es bereits zu spät war.
Die Gehilfen seien ganz normal, wurde mir von einer älteren Ärztin erklärt, die für das gesundheitliche Wohlergehen der Heimbewohner zuständig war.
»Haben die denn in der großen Mehrzahl Gelenkprobleme?«, vertiefte ich das Thema.
»Einige sicherlich, aber bei den meisten handelt es sich um natürlichen Muskelschwund, der bereits Mitte dreißig einsetzen kann und sich im Alter beschleunigt.«
»Natürlich, sagen Sie?«
»Ja, der geht an keinem vorbei.«
»Und dagegen ist kein Kraut gewachsen?«
»Doch! Wer regelmäßig trainiert, kann sich auch im Alter ohne Hilfen flink bewegen.«
»Der selbstverschuldeten Unmündigkeit folgt also die selbstverschuldete Unbeweglichkeit.«
Ich erntete einen verständnislosen Blick.
Ob in dem Heim denn ein Fitnessstudio sei, in dem die Alten ihre Muskeln kräftigen könnten, wollte ich wissen.
Sie schaute mich zweifelnd an, und als sie bemerkte, dass es mir ernst war, wurde ich belehrt: »Fitnessstudio? Wo denken Sie hin! Das wollen wir unseren Gästen nicht mehr zumuten. Sie haben genug getan in ihrem Leben und ein Anrecht auf Ruhe und Rückzug. Wir haben zweimal die Woche Wassertreten im nahe gelegenen Hallenbad und Gedächtnistraining. So was wird gerne angenommen!«
Die Ärztin ist mit ihren arg begrenzten Vorstellungen vom erfüllten Alter nicht allein. Bei meinem Buchhändler, der im Übrigen seine Seniorenabteilung in »Generation plus« umbenannt und damit das Alter elegant entsorgt hat – woran sich unschwer erkennen lässt, welchen Ruf der Begriff genießt, und eng mit ihm verbunden, die Sache selbst –, entdecke ich eine Broschüre über Berliner Altenheime und Seniorenresidenzen. Dort finden sich so attraktive und abwechslungsreiche Angebote wie Hundebesuchsdienst, Werken für Männer, therapeutisches Kochen, Maltherapie, Aromapflege sowie ein Café für Nachtschwärmer. Außerdem wird auf eine stattliche Liste von Heimtieren verwiesen, unter ihnen Meerschweinchen, Schildkröten, Hasen, Hunde und ein einzelner Kakadu. Ein Begleiter durchs Alter, der sicherlich nicht ohne Hintersinn ausgesucht worden war, denn die monogamen Vögel sind gesellig, werden uralt und können den Heimbewohnern mithin lange Gesellschaft leisten. Sie sind zwar nicht so schwatzhaft wie der Graupapagei, aber zur Imitation von Trillerpfeifen und Telefonläuten reicht es allemal. Einen einzelnen redseligen Graupapagei gibt es in einem Seniorenheim am Prenzlauer Berg. Er hört auf den Namen Rudi, hat sein Wissen aus dem Sprachrepertoire seiner Umgebung erworben und erfreut seine Zuhörer mit Äußerungen wie: »Guten Morgen, du alter Sack«, »Hallo, Schlampe, lass mal die Rechnung rüberwachsen!« oder: »Ich hau dir gleich aufs Maul.«
Alles in allem machen die Angebote der Heime und Residenzen den Eindruck, als seien ihre Adressaten Vorschulkinder und nicht Erwachsene, die ein langes, erfolgreiches Leben hinter sich und eine häufig mühselige Zukunft vor sich haben.
Schwimmbecken und Krafträume sucht man indes, mit Ausnahme vereinzelter Planschbecken, vergebens.
Als Hauptstadtkorrespondent der ARD in Berlin war ich unter anderem für das Gesundheitsressort zuständig und zwangsläufig mit den verantwortlichen Ministern bekannt gewesen. Ich habe mit jedem mehrfach über das Problem der Gehställchen und die Kosten der Immobilität gesprochen und versucht, sie von der Notwendigkeit von Fitnessstudios in Altenheimen zu überzeugen. Vergeblich: Sie schauten mich jedes Mal mit jenem freundlichen, leeren, gleichwohl körperlich anwesenden Blick an, den Politiker für Journalisten übrig haben, die sie nicht verärgern wollen, deren Meinung sie aber für Unfug halten.
Ganz anders das Angebot in »Steps to Heaven«. Die Ställchenläufer sind dort seltene Ausnahme. Es gibt ein stattliches Schwimmbad, das von der PEF ( pool employment force ), die ausschließlich aus Heimbewohnern besteht, instand gehalten wird. Nebenan liegt der Kraftraum mit zahlreichen Geräten, die vergangene Generationen von Heimbewohnern einst zusammengebettelt hatten.
»Kraftmaschinen altern nicht«, versicherte mir während meines Besuchs Rod »the body« Elam, der vor seiner Rente das
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