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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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Jahrhunderts, zeigt den hochbetagten Aufklärer in einem prächtigen Faltenwurf, der kaum die Umrisse des Körpers andeutet, den er verhüllt. Das Gesicht ist eingefallen und der zahnlose Mund nur noch ein Strich, aber »dieses ruinöse Antlitz leuchtet in einem befreiten, blitzenden Lächeln. Es ist der Triumph des beweglichen Geistes über den physischen Verfall, der aus dieser Statue spricht«, merkt ein kenntnisreicher Betrachter des Bildes euphorisch an.
    Recht besehen war diese Haltung melancholischer Gelassenheit, verbunden mit dem langsamen Rückzug aus dem eigenen Körper, stets die einzige Form gewesen, um mit dem Alter zurechtzukommen. Sie war es auch bis in unsere Zeit. Heute und in Zukunft jedoch spielt eine andere Melodie. Siegte in der Aufklärung der Geist über den Körper als Ersatz für die verlorene Transzendenz, so triumphiert inzwischen der Körper über den Verstand. Allerdings ist aus dem rührenden Traum vom Jungbrunnen nüchterne und strapaziöse Realität geworden in Form des Jugendwahns, der an seinen Rändern die Grenze zum Wahnsinn überschreitet. Das wird nicht ewig gut gehen, weil es die Natur beleidigt, und mit der ist auf Dauer nicht zu spaßen.
    Wir können dem Alter zwar nicht entfliehen, aber wir können einige unvermeidliche Begleiterscheinungen hinauszögern. In meinem Sportstudio steigt inzwischen die Zahl der Grauhaarigen. Wir kommen meist in den späten Vormittagsstunden, um unter uns zu bleiben. Auf den Laufbändern herrscht dann ein gemächliches Tempo, und die Gewichte sind am oberen Rand in den Kraftmaschinen fixiert, aber es wird emsig und mit großem Ernst Körperarbeit betrieben. Ob wir deswegen unbeschwerter alt werden, weiß ich nicht, ich vermute eher das Gegenteil. Denn wer sich intensiv um seinen Körper kümmert und dessen Entwicklung beobachtet, dem wird der unaufhaltsame Verfall ständig vor Augen sein.
    Wir werden zudem leichter zu Opfern der Körperfalle, dem gefährlichsten Moloch der Moderne, da er ganz gegen die Natur ist. Der Körper war im Geltungsraum der protestantischen Ethik ursprünglich der unschöne Maschinenraum, der Bewusstsein, Motorik und die Emotionen vorantrieb. Er wurde, der damaligenMode folgend, meist unter grauem, hochgeschlossenem Tuch verborgen. In logischer Konsequenz hat Sigmund Freud, als er damals seine Strukturhypothese der menschlichen Psyche entwickelte, deren Antriebskräfte im dunklen »Es« verborgen. Seither ist nicht nur die Saumlänge von Röcken und die Stoffmenge von Badeanzügen in Bewegung geraten, unsere Zeit hat den Körper auch als Konsumobjekt und Medium der sozialen Platzierung des Menschen entdeckt. Schönheit, Sportlichkeit und Eleganz gehören infolgedessen zu den Grundvoraussetzungen für ein gelungenes, am gesellschaftlichen Aufstieg orientiertes Leben.
    Diese Entwicklung, die fest in unserer Wirtschaft verankert ist, wird nicht mehr rückgängig zu machen sein, im Gegenteil: Der Körper ist heute wichtiger als noch vor zwanzig Jahren. Aus der spielerischen Kultur der Schönheit, die von alters her ein Anliegen war, wie jeder Besuch eines Völkerkundemuseums bezeugt, ist bitterer Ernst und das banale Ringen um soziale Anerkennung geworden. Der Körper ist eines der Hauptschlachtfelder, auf dem der Zugriff der Gesellschaft auf die Individuen exekutiert wird. Soziales Ansehen, beruflicher Aufstieg, Selbstbewusstsein und Erfolge auf dem weiten Feld der Gegenseitigkeiten hängen in steigendem Maß von der Qualität des Körpers in seiner äußerlichsten Beschaffenheit ab.
    Die neue Körperlichkeit mit ihren erbarmungslosen Vorschriften und auf Dauer unerfüllbaren Anforderungen bedeutet auch die tragische Rückkehr einer der sieben Todsünden in unseren Alltag: »Es gibt nichts Schlimmeres, nichts Schändlicheres denn die Völlerei«, erklärte einst im 4. Jahrhundert der Erzbischof von Konstantinopel, Johannes von Antiochia. Er war behilflich gewesen, die Todsünden in den Kanon christlicher Werte einzuführen. Wer starb, ohne bereut zu haben, fuhr auf direktem Weg in den dritten Kreis der Hölle und erlitt dort den »ewigen Tod« mit all seinen unerfreulichen Begleiterscheinungen. Immerhin hatte der Sünder vorher geschlemmt und getrunken und ein fröhliches Leben geführt, wohl wissend, welchen Preis er dereinst dafür würde entrichten müssen.
    Wir haben die wunderliche Idee des Christentums, ein üppiges Mahl zur Sünde zu erklären, nun im Zuge des Körperkults wieder zum Leben erweckt. Allerdings wird

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