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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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ist, und bemerke, wie er allmählich unbeweglicher, langsamer und schwächer wird. Irgendwann wird er auf meine Hilfe angewiesen sein. Deswegen bin ich hier.«
    Diese Frauen bereiten sich auf die Pflege ihrer älteren, schadhaften Männer vor und setzen damit bewusst, im Gegensatz zu den männlichen Besuchern im Studio, einen Teil der notwendigen Altersethik in die Tat um.
    Mit körperlichem Training ist es natürlich nicht getan. Im Alter steht man vor der schwierigen Aufgabe, in jedem Augenblick drei vielschichtige Entwicklungslinien miteinander zu verknüpfen. Man muss härter arbeiten und üben, um bestimmte Leistungen zu erbringen, gleichzeitig muss man seine Grenzen erkennen und aussondern, was nicht mehr gelingen will, und schließlich muss man Ersatz für die Verluste finden.
    Der Pianist Arthur Rubinstein, der auch hochbetagt noch auftrat, ist ein gutes Beispiel für diese Lebenstechnik. Er übte im Alter mehr als je zuvor, schränkte sein Repertoire ein und spielte anspruchsvolle Passagen etwas langsamer. Dieser komplizierte, vielschichtige Prozess folgt im Allgemeinen keinem bewussten Plan, sondern ergibt sich naturwüchsig bei denjenigen, die auch im Alter noch für ihre Talente leben.
    Doch auch die Gegenseite, der volle Magen, das gemächliche Beharren, der gute Jahrgang und Churchills berüchtigte Warnung »no sports« hat mächtige Verbündete: die Hoffnungslosigkeit und die Bequemlichkeit. Aus dem Training vergangener Tage mit dem Ziel, schneller, geschickter und erfolgreicher zu sein als die Konkurrenten, ist für uns Alte eine Abwehrschlacht um den eigenen Leib geworden. Es gibt keine Meter und Sekunden mehr, die man überbieten möchte, ebenso wenig wie Tabellen, an deren Spitze man zu gelangen sucht. Die Rivalen von einst sind ergraut und haben genügend mit sich selbst zu tun. Der resignative Satz: »Dabeisein ist alles« treibt uns jetzt an, und nicht mehr der Konkurrent an unserer Seite. Die fernen Ziele haben sich verflüchtigt, stattdessen kämpfen wir gegen einen Verfall, der eines Tages unweigerlich eintreten wird.
    Wir haben auf Dauer keine Chance. Wir befinden uns in der Defensive, die einst die Position der Schwäche und nicht der Stärke war, aber für den Angriff und die Initiative reichen die Kräfte nicht mehr. Der Feind wird stärker, während wir ermatten. Die Sache ist hoffnungslos und jeder Versuch, den Körper durch Sport zu retten, auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Mit jedem gelebten Monat wird die Vergeblichkeit unserer Bemühungen spürbarer, und da ein Vormittag im Liegestuhl ohne Abstriche jedem Vormittag im Sportstudio vorzuziehen ist, fällt es zunehmend schwerer, Kraft und Bereitschaft für ein tägliches Training aufzubringen. Auch im Alter bleiben wir umkämpfter Knotenpunkt widerstrebender Kräfte und Interessen.
    Die Gegner eines Lebensstils, den Ökonomie und gesellschaftliche Entwicklung von uns fordern werden, haben also tüchtige Verbündete an ihrer Seite. Gleichwohl ist der beschwerliche Kampf nicht aussichtslos, denn im Alter verliert die Zukunft an Bedeutung, und der Augenblick wird zur vorherrschenden Zeiteinheit. In seinem Rahmen sind flinke Beine und ein beweglicher Körper allemal von Vorteil.
    Meine Mutter, die jener Generation angehörte, die ihren Lebensstil noch frei bestimmen durfte, weigerte sich, bis auf seltene Ausnahmen, in den letzten Jahren ihres Lebens, das Bett zu verlassen. Als ich ihr eines Abends wieder einmal stichhaltige Vorwürfe machte, die vor allem mir zugute kamen, weil ich so unangefochten recht hatte, drehte sie mir anfangs den Rücken zu. Das brachte mich erst recht in Fahrt. Eine Weile blieb sie still. Dann drehte sie den Kopf in meine Richtung und sagte knapp und kühl: »Mein Lieber, es hat keinen Zweck mehr.« Seitdem habe ich das Thema nicht mehr angesprochen. Anfänglich mit einem Gefühl der unterdrückten Wut über so viel Starrsinn bei so viel gutem Rat. Doch wenn ich heute daran denke, bin ich geniert.

Einsamkeit und andere Gesellungsformen
    »Ein Gemeinwesen ist so reich,
wie es Zusammenhänge stiftet.«
    ALEXANDER KLUGE
    Kürzlich habe ich zum Telefon gegriffen und Rolf Scheer angerufen. Er, andere und ich hatten einst das soziologische Institut der Universität Tübingen besetzt, mit dem Ziel, die Wissenschaft zu demokratisieren, wie das damals hieß. Der Leiter des Seminars hatte sich jedoch dem kritischen Diskurs entzogen und war auf die Toilette geflüchtet. Wir, es war noch zu Beginn der

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