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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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Studentenbewegung, wagten vorerst nicht, die Tür einzutreten, und überlegten hin und her, ob dies ein revolutionärer Akt oder kleinbürgerliche Sachbeschädigung sein würde. Als schließlich die revolutionäre Linie obsiegt hatte und die Tür aufgebrochen war, fanden wir die Toilette leer vor. Unser Professor war bei dem Versuch, durch das Fenster zu entkommen, abgestürzt und lag stöhnend mit verstauchtem Bein inmitten der Dornen eines üppig blühenden Rosenbeets.
    Geschah ihm recht, dem vermaledeiten Positivisten, was damals, heute schwer nachvollziehbar, ein wüstes Schimpfwort gewesen war. Der Demokratisierung der Wissenschaften war hiermit guter Dienst getan, fanden wir. Später wurden Rolf Scheer und ich wegen Körperverletzung angeklagt. Bevor das Gericht jedoch zusammentreten konnte, erlöste uns eine Amnestie für den rebellischen Nachwuchs, dessen besorgte Eltern die Karrieren ihrer Kinder in Gefahr sahen.
    Später habe ich Rolf aus den Augen verloren und über Jahrzehnte nichts mehr von ihm gehört, bis mir ein Kommilitone, mit dem ich in lockerem Kontakt geblieben war, erzählte, Rolf sei Lehrer in Offenburg. Daraufhin griff ich zum Telefon.
    »Sven hier. Sven Kuntze!«
    »Ach, dich gibt es noch! Mit dir hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Wie geht‘s dir?«
    Ein wenig überraschter hätte er schon sein dürfen.
    »Was machst du?« – »Und was treibst du so? Wie ist es dir ergangen? Erzähl!« – »Weißt du noch?« – »Hast du von dem je wieder was gehört?« – »Erinnerst du dich?« – »Bist du immer noch mit der zusammen?« – »Hast du deine Arbeit zu Ende geschrieben?« – »Nein!« – »Ich auch nicht!« – »Ach, die ist tot?« – »Unfassbar, was aus dem geworden ist!«
    So ging das unvermittelt los und fand keine Pause, bis ein Termin den Redefluss unterbrach. Im Handumdrehen war ein dichtes Geflecht von Erinnerungen und Themen, Neugierde und Nähe entstanden. Keine Spur jener Befangenheit und des unsicheren Tastens, die jedem Anfang eigen sein können. Wir stehen seither in Kontakt.
    In den zurückliegenden Jahren und vor allem nach Beginn meiner Berufstätigkeit und der damit verbundenen Mobilität hatte ich manche Freundschaft beiseitegelegt und gedankenlos aufgegeben. In den seltensten Fällen waren Streit und unüberwindbare Differenzen der Anlass gewesen, vielmehr Ortswechsel, neue Bezugsgruppen, in die alte Freunde nicht mehr passten, oder jene Achtlosigkeit, die Folge neuer Chancen und vielfältiger Perspektiven sein kann. Doch solche verschlampten Freundschaften können mit Gewinn wiederbelebt werden, denn »jeder Freund hinterlässt einen Abdruck im Inneren des anderen«, der auch Jahrzehnte später nicht ganz verweht ist. Gemeinsame Erfahrungen, die vierzig und mehr Jahre zurückliegen und in einer Zeit gemacht wurden, in der man, oft unbewusst, wurde, was man ist, sind von erstaunlicher Zähigkeit. Ihre Tragfähigkeit als Fundament einer Freundschaft hat häufig unbeschädigt die Jahrzehnte überdauert. Ohne Schwierigkeiten kann man an die losen Fäden der Vergangenheit anknüpfen, als ob sie nur darauf gewartet hätten. Es bleibt ihnen eine Verbindlichkeit eigen, die unbemerkt die Zeiten überdauert hat.
    In Frankfurt stöberte ich nach Jahrzehnten zufällig eine alte Freundin auf, die kinderlos ein bewegtes Leben zwischen schöngeistiger Literatur und einer endlosen Abfolge von Liebhabern geführt hatte. Gemeinsam hatten wir jenen Grundstock an Überzeugungen angelegt, der zum ständigen Begleiter durch das Leben wird. Später wurde die Beziehung turbulent. Schließlich gingen wir im Zorn auseinander und verloren uns aus den Augen.
    Jetzt war es ruhiger um sie geworden. Ihre Artikel im verzweifelten Tonfall der Frankfurter Schule waren aus der Mode gekommen, und ihre Vorliebe für jüngere Männer beschränkte den Kreis zukünftiger Beziehungen.
    Unser erstes Gespräch nach so vielen Jahren und den Verletzungen, die plötzlich wieder präsent waren, verlief zögerlich und vorsichtig. Wir trauten uns nicht und stießen erst nach und nach auf jene Gemeinsamkeiten, die wir einst miteinander entdeckt hatten. Gelegentlich kamen wir uns fremd vor, und es schien aussichtslos, den Dialog fortzusetzen. Da es aber trotz der Schwierigkeiten ein gegenseitiges Werben blieb, haben wir die Geduld aufgebracht, die wir einst nicht hatten. Seither sind wir wieder befreundet und haben zu einer Art ironischer Vertrautheit gefunden, die kaum Themen ausspart, mit

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