Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
die Geisterkirche sie nicht entführt hat«, stöhnte Tobias, ohne recht zu wissen, ob er scherzte oder seine Worte ernst meinte.
24. Bruchstücke der Vergangenheit
A my stand vor dem Kirchentor.
»Ich geh da nicht rein«, sagte sie zu ihren Freunden.
»Heute Nacht schlagen wir unser Lager da drinnen auf«, teilte ihr Matt mit.
»Wenn das so ist, schiebe ich eben Wache.«
Alle sahen, dass sie sich unwohl fühlte.
»Amy«, sagte Ambre, »was ist denn los?«
Das blonde Mädchen verzog das Gesicht.
»Ich … ich mag keine Kirchen.«
»Hast du Angst?«, wollte Chen verwundert wissen.
»Ich mag sie nicht, das ist alles. Wollt ihr etwa die ganze Nacht dastehen und mich anstarren? Ich habe gesagt, dass ich nicht mit reinkomme, und damit basta!«
»Du kannst nicht allein draußen schlafen«, widersprach Matt.
»Ich habe ja die Hunde.«
»Wenn das so ist, bleibe ich bei dir«, warf Ambre ein.
»Ich auch«, ergänzte Tania. »Mädchenabend!«
»Nein«, versetzte Matt. »Wir können euch nicht draußen schlafen lassen, während wir geschützt sind …«
»Die Entscheidung steht fest«, unterbrach ihn Ambre. »Die Jungs drinnen, die Mädchen draußen, und da gibt es nichts zu verhandeln. Nehmt eure Sachen mit, damit ihr uns später nicht stört, wir haben uns ein paar Dinge zu erzählen.«
Ambre ließ den Jungen kaum Zeit, ihre Sachen an sich zu nehmen. Unsanft schob sie sie in die Kirche.
»Ich glaube, man hat uns soeben vor die Tür gesetzt«, sagte Chen grinsend.
Tobias starrte den Hostienschrein an, der weiterhin seine Lichtblitze aussandte.
»Und was ist mit diesem Teil da los?«, fragte er mit ängstlicher Stimme.
»Wenn die Bibeln so was wie die Modems sind«, vermutete Matt, »sind die Schreine wohl der Router. Wenn man es mit einem Internetanschluss vergleicht. Die religiöse Kraft der Gläubigen scheint sich in ihnen zu sammeln. Vermutlich wegen ihrer Nähe zum Altar und zum Kruzifix.«
»Abgefahren«, meinte Tobias.
Sie legten ihr Gepäck etwas abseits neben dem Beichtstuhl ab, und Floyd holte den Gaskocher hervor, um das Abendessen zuzubereiten.
»Ich hoffe, dass den Mädchen nichts passiert«, sagte Matt.
»Wenn du meine Meinung willst«, antwortete Tobias, »sind sie dort draußen mit den Hunden sicherer als wir hier drinnen.«
»Außerdem hat Tania einen leichten Schlaf. Sie wird uns warnen, wenn es ein Problem gibt«, versicherte Floyd.
Während die Jungs aßen, hallte das Gemurmel der Bibelstimmen durch das Kirchenschiff. Es wurde von den Wänden zurückgeworfen und wob ein unheimliches Klanggespinst.
Plötzlich verstummten die Stimmen alle gleichzeitig, nur um gleich darauf einen religiösen Gesang anzustimmen, der nach wenigen Sekunden wieder abflaute.
»Wie soll man dabei denn einschlafen? Das kann ja heiter werden«, gluckste Chen.
Der Hostienschrein leuchtete abermals auf, dann erloschen die Kerzen, und plötzlich herrschte wieder Stille, als sei das Gebäude seit einer Ewigkeit verlassen.
Tobias lugte über den Rand seiner Schüssel.
»Man braucht nur höflich zu bitten«, scherzte er. Etwas mulmig zumute war ihm trotzdem.
»Glaubt ihr, dass die die Stimmen nur hin und wieder erklingen?«, fragte Chen.
»Sieht so aus«, antwortete Floyd. »Vielleicht gibt es nicht genug Energie, um die Verbindung ständig aufrechtzuerhalten, oder sie verläuft in Zyklen.«
Im weiteren Verlauf des Abends ereignete sich nichts Merkwürdiges mehr, und die Jungen legten sich schließlich etwas aufgewühlt, aber hundemüde schlafen.
Die drei Mädchen saßen im Kreis und beobachteten den Topf auf dem kleinen Feuer zwischen sich, während sie darauf warteten, dass das Wasser zu kochen begann. Die Hunde erkundeten wie immer vor Einbruch der Dunkelheit die Umgebung.
»Was, glaubt ihr, werden wir im Norden finden?«, fragte Tania.
»Wenn ich das wüsste …«, seufzte Ambre. »In einem Punkt hat Matt jedenfalls recht: Alle merkwürdigen Dinge, die wir gesehen haben, kamen aus dem Norden. Der Torvaderon, die Foltergeister …«
»Gespenster«, sagte Amy auf einmal. »Ich glaube, dass dort oben die Geister der alten Welt leben.«
»Warum meinst du das?«
Amy zuckte die Achseln und blickte ins Leere.
»Wegen dem, was ich im Fort Strafe gesehen habe. Die Leichen der Pans. Nur Gespenster sind zu solchen Greueltaten fähig.«
»Aber du hast doch auch kleine Fußspuren gefunden«, sagte Tania. »Gespenster hinterlassen keine Fußspuren!«
»Außer sie dringen in die Seele eines Pans ein und
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