Alterra - Der Krieg der Kinder: Roman (German Edition)
lassen. Er hatte geglaubt, sie zu verlieren, und erst in diesem Augenblick war ihm bewusst geworden, wie sehr er sie brauchte. Ohne sie war er nicht derselbe, ohne sie fühlte er sich nicht als ganzer Mensch, ja mehr noch: Ohne sie sah er keine Zukunft für sich.
Was er mit ihr erlebt hatte, was sie miteinander geteilt hatten, über ihre Freundschaft hinaus, das durfte nicht so enden. Nicht so abrupt.
»Eine so weite Strecke hält dieser Schmetterling nie durch«, sagte er. »Er wird vor Erschöpfung abstürzen, bevor du den Blinden Wald erreichst! Komm mit uns, wir werden schon einen Weg finden. Zusammen.«
Da schenkte Ambre ihm das strahlende Lächeln, das er so liebte, und trat so nah an ihn heran, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spürte.
»Unsere Stunden sind gezählt, Matt«, sagte sie leise. »Und wenn es überhaupt noch eine Chance gibt, dass wir alle überleben, dann finde ich sie dort. Ich muss so schnell wie möglich dorthin.«
»Dann komme ich mit.«
Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen.
»Nein, das geht nicht. Du hast es selbst gesagt, der Schmetterling wird schnell müde werden. Ich muss allein sein. Und du hast eine Mission zu erfüllen. Du musst diese Pans nach Norden führen, zum Pass der Wölfe, in die schlimmste Schlacht, die unsere Welt je gesehen hat. Das ist deine Stärke, Matt. Du bist von unschätzbarem Wert für unsere Truppen.«
Matt schüttelte langsam den Kopf. Er wollte es einfach nicht wahrhaben. Er wollte sie nicht verlieren.
Bedrohliches Knurren drang aus dem oberen Stockwerk herab.
»Beeil dich!«, sagte sie. »Die Seelenlosen sind gleich hier. Meine Entscheidung steht fest.«
Matt umarmte sie.
»Pass auf dich auf. Ich warne dich, wenn du Dummheiten machst, dann finde ich dich, notfalls hole dich sogar aus der Hölle raus!«
»Geh jetzt.«
Matt rührte sich nicht.
Draußen im Gang feuerte Chen einen Bolzen ab.
»Sie kommen!«, schrie er.
Matt rannte zu dem Seil, mit dem der Schmetterling festgebunden war, hieb es mit einem Schlag durch, und Ambre stieg auf den Ledersattel.
»Ich werde dich wiederfinden«, sagte sie.
Sie beugte sich vor und küsste Matt sanft auf den Mund.
»Los jetzt!«
Matt wich zurück, während Ambre an den Zügeln zog. Der Schmetterling schüttelte sich und machte einen kleinen Hüpfer auf dem Sims. Dann breitete er seine Flügel aus und hob so schwungvoll ab, dass Matt von dem Luftstoß fast umgeworfen wurde.
Bevor Matt wieder auf Pluschs Rücken stieg, winkte er Ambre noch einmal hinterher. Sie flog bereits auf den nördlichen Horizont zu, an dem sich pechschwarze Wolken türmten.
Er verbot sich zu denken, dass er ihr damit Lebewohl sagte.
41. Den Tod auf den Fersen
D ie Wände sausten vorbei.
In atemberaubendem Tempo hetzten die Hunde durch Treppenhäuser und Säulenhallen, gelangten in einen kleinen Hof und erreichten die äußere Schlossmauer.
Matt sah die Umgebung, hörte die Schreie der Wachposten, aber er nahm das alles wie durch einen Nebel wahr, als wäre er ganz woanders.
Er konnte sich nicht von der Erinnerung an Ambre losreißen.
Von ihren Abschiedsworten.
Ihrem Kuss.
Matts Kopf fühlte sich an wie leer gefegt, und schon jetzt war er wütend auf sich selbst, weil er sie allein hatte ziehen lassen.
Die Häuser rund um das Schloss flogen an ihnen vorbei, während sie die Soldaten mit Pfeilen, Bolzen und Axtschlägen fernhielten.
Matt überließ Plusch die Führung. Die Hunde rannten wie der Wind, bald hatten sie das Gelände von Wyrd’Lon-Deis hinter sich gelassen und liefen auf einem Pfad aus festgestampfter Erde durch einen Wald aus schwarzen Bäumen.
Die letzten Stunden waren eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen. Matt wusste nicht mehr, was Traum und was Wirklichkeit war. Zuerst der Torvaderon, nun das wahre Gesicht von Malronce – wie sollte er so etwas verkraften? Wie war es nur so weit gekommen?
Und wie hätte er das ahnen können, als er vor zweieinhalb Monaten einen Steckbrief mit seinem Bild in der Tasche eines Zyniks gefunden hatte?
Sein Vater und jetzt seine Mutter. Er musste vor ihnen fliehen, für immer, sonst würde er den Verstand verlieren. Durfte sie nie wiedersehen, sie nicht beachten, als wären sie nur ein Traumbild.
Eine Halluzination, ein Produkt meiner Phantasie … Ja, genau, meine Phantasie ist mit mir durchgegangen …
Die Stimmen von Tobias und Horace rissen Matt aus seiner Betäubung.
»Die Styx ist da drüben!«, schrie Horace.
»Das Schiff können wir
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