ALTERRA: Die Gemeinschaft der Drei (PAN) (German Edition)
hoch. Sein Herz schlug wie wild.
»Er hat uns gestreift, ich hab es im Nacken gespürt. Er ist ganz nah vorbeigeflogen.«
Sie redeten nicht lange herum und liefen weiter, den Blick ängstlich und wachsam in die undurchdringliche Masse um sie herum gerichtet, obwohl sie den Monstervogel sowieso erst im allerletzten Augenblick sehen würden, wenn er heruntergeschossen käme. Aber über ihren Köpfen flatterten keine gigantischen Flügel mehr.
Dafür tauchten hinter ihnen zwei weiße Lichter auf. Zwei grelle Scheinwerfer, die auf sie zusteuerten.
»Um Himmels willen!«, schrie Tobias. »Siehst du … Siehst du, es gibt doch Züge!«
Matt schüttelte den Kopf. Er war leichenblass.
»Das ist kein Zug, das ist ein Stelzenläufer. Ich glaube, er hat uns entdeckt.«
Matts Befürchtung bestätigte sich, als hinter ihnen pfeifende Rufe erklangen. Schrille, quiekende Klagelaute fegten durch den Dunst.
»Lauf!«, brüllte Matt. »Lauf!«
Er rannte mit gesenktem Kopf los und riss seinen Freund mit.
Hinter ihnen kullerten Steine. Der Stelzenläufer jagte ihnen hinterher.
Würden sie einen Stelzenläufer abschütteln können? Das bezweifelte er schwer. Sollte er seine Kräfte sparen, falls es zum Kampf kam, oder ihren Verfolger gleich mit erhobenem Schwert erwarten? Allein der Gedanke daran war so fürchterlich, dass seine Beine von selbst schneller liefen. Er hörte, wie sich die Stelzen der Kreatur mit der Regelmäßigkeit einer Maschine in den Schotter gruben. Die Länge der Stiele verschaffte ihr einen klaren Vorteil. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis sie eingeholt waren. Matt keuchte schon schwer, seine Ausrüstung behinderte ihn erheblich. Fast hätte er dem Impuls nachgegeben, alles wegzuwerfen, sogar seine Waffe. Er wollte nur noch weg.
Vor ihnen zeichneten sich plötzlich schemenhafte, kantige Umrisse ab. Die Konturen eines Gebäudes traten aus dem Nebel. Eine Rampe, ein Dach … ein Bahnsteig. Auf der Brücke befand sich ein Bahnhof, den Matt und Tobias mit letzter Kraft erreichten. Sie kletterten auf den schmutzigen, verlassenen Bahnsteig. Die Bänke waren verrostet, überall taten sich große Risse auf, wie in einem Brotlaib, der vor dem Backen angeritzt worden war. Die Neonleuchten waren verdreckt, und in allen Winkeln hingen Spinnennetze.
Sie rannten den Bahnsteig entlang, während der Stelzenläufer ebenfalls vom Gleis hinauf auf die Betonplatte stieg. Plötzlich tat sich vor ihnen eine Öffnung auf: eine Treppe. Matt hielt sich am Geländer fest und hetzte die Stufen hinunter, gefolgt von Tobias. Das Treppenhaus, eine Konstruktion aus Metall, führte unter den Bahnhof. Dort gabelte sich der Weg: Auf der einen Seite ging es in einen langen Gang, der unter der Brücke verlief, auf der anderen befand sich eine schmale Treppe im Freien, die steil nach unten abfiel. Matt entschied sich für die Treppe. Er rannte die Stufen hinab, nahm manchmal auch zwei auf einmal, Tobias im Schlepptau, Absatz für Absatz, immer im Zickzack. Mit seinen Drahtseilen und vernieteten Eisenträgern ähnelte das Gefüge dem Eiffelturm. Irgendwann hielten Matt und Tobias völlig außer Atem inne, um zu lauschen: Sie hörten den Stelzenläufer nicht mehr. Matt wagte einen Blick nach oben. Ihr Verfolger stand noch vor den Stufen; selbst mit eingezogenen Stelzen war er zu groß für das Treppenhaus. Matt sah, wie er sich zögernd nach vorn neigte und versuchte, sich hineinzuzwängen. Er schien unsicher zu sein, seine langen milchigen Finger tasteten Halt suchend an den Gitterwänden entlang. Während Matt noch nach Luft rang, wich der Stelzenläufer zurück, hob den Kopf und rief quiekend Hilfe herbei.
Tobias beugte sich vor und stützte erschöpft die Hände auf die Knie.
»Ich glaube … ich habe … einen Asthmaanfall!«
»Du hast noch nie … Asthma … gehabt!«
»Meine Lunge … pfeift … manchmal.«
»Schluss jetzt«, keuchte Matt. »Wir müssen weiter … solange das Ding da … uns nicht folgen kann.«
Sie gingen langsamer weiter, ohne zu wissen, wohin die Treppe sie führte. Während der Nebel hin und her wogte und dünner wurde, nahm der Wind zu und zerzauste ihre Haare. Zehn Meter tiefer begann er zu pfeifen und um ihre Wangen zu peitschen. Der Nebel wich einem Wolkenwirbel, der sich nach und nach auflöste und die Wipfel eines Waldes unter ihren Füßen freigab. Aus welcher Höhe waren sie herabgestiegen? Hundert Meter, vielleicht doppelt so viel? Die letzten Stufen endeten zwischen hohen
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