Alterra. Im Reich der Königin
zu können. Da war höchste Vorsicht geboten.
»Es gibt keine Kabinen mehr«, begrüßte sie einer der Männer, der zur Seilbahn vorausgeschickt worden war. »Wenn wir warten, werden sie vielleicht …«
»Nein, dann nehmen wir die Treppe, da hilft alles nichts«, unterbrach ihn der Offizier, der die Führung übernommen hatte.
Matt dachte fieberhaft darüber nach, ob er die Gelegenheit zur Flucht nutzen sollte. Er könnte einen der Wärter die Treppe hinunterstoßen und einfach losrennen … Aber wohin? In die Stadt konnte er nicht mehr zurück, und wenn er auf dem Weg hinunter auch nur einmal stolperte, stürzte er womöglich zu Tode. Das Wagnis war zu groß.
Seine Aufpasser nahmen ihn in die Mitte, und so begann Matt notgedrungen den beschwerlichen Abstieg. Die Wasserfälle, die zu beiden Seiten der Treppe in die Tiefe rauschten, hüllten alles in einen erfrischenden Sprühregen ein. Die Felswände waren mit Moos überwachsen, und die Stufen waren furchtbar rutschig.
Jeder konzentrierte sich nur noch darauf, wohin er die Füße setzte, auch Matt. Nicht einmal die Flüche der Männer an der Spitze der Kolonne brachten ihn dazu, den Blick zu heben.
»Vorsicht, hier steht ein Fass mitten im Weg!«, schrie jemand unter ihm.
»Stoß es einfach weg. Pech für den, der es da abgestellt hat!«
»Und wenn es was Wichtiges ist?«
»Unsere Mission ist wichtiger!«
»Da steht was: ›Die Gemeinschaft … der … Drei‹.«
Bei diesen Worten horchte Matt auf.
Ambre und Tobias!
Er sah sich verstohlen um. Sechs Bewacher vor ihm, sechs hinter ihm. An der Seite vorbeidrücken ging nicht, dabei würde er den Halt verlieren, von den Wasserfällen mitgerissen werden und unweigerlich an den Felsen zerschellen.
Da ertönte vom obersten Absatz der Treppe ein Pfiff.
Es war Tobias, mit gespanntem Bogen.
Hinter ihm zeichneten sich zehn weitere Gestalten ab.
Tobias zitterte, so nervös war er. Er hatte nur einen einzigen Versuch. Die Spitze seines Pfeils zielte auf das Fass neben Matt.
Er atmete tief durch und dachte an nichts mehr.
Seine Schultern strafften sich. Er hob leicht den Ellbogen, um die Schussrichtung zu korrigieren.
Genau in dem Augenblick, in dem die Pans die ersten Fässer die Treppe hinunterstießen, ließ er die Sehne los.
Als er den Pfeil mit dem Seil, das sie daran befestigt hatten, in die Tiefe sausen sah, geriet er in Panik. Ohne Ambres Hilfe würde er nie und nimmer ins Schwarze treffen, dafür schoss er viel zu schlecht!
Die Pfeilspitze bohrte sich genau in der Mitte in das Fass.
Ich hab getroffen! Ich hab getroffen!
Aber zum Jubeln blieb ihm keine Zeit. Die Fässer polterten die Stufen hinunter, und die Soldaten begannen zu schreien. Die ersten von ihnen versuchten vergebens, über die Fässer hinwegzuspringen, und wurden mit in die Tiefe gerissen. Daraufhin wichen die nächsten zur Seite aus und wurden prompt von dem schäumenden, tosenden Wasser erfasst. Verzweifelt suchten die Männer an der Wand nach Halt, doch der Sog in den Abgrund war zu stark.
Matt sah sich schon ebenfalls auf Nimmerwiedersehen verschwinden, doch im letzten Augenblick ging ihm auf, was Tobias geplant hatte. Als er sich auf das Seil stürzte, versuchte ein Wärter mit von Narben entstelltem Gesicht, der offenbar auf dieselbe Idee gekommen war, ihn wegzustoßen. Matt versetzte dem Mann einen so heftigen Faustschlag, dass er benommen zurücktaumelte und von einem schweren Fass getroffen wurde, während Matt gerade noch rechtzeitig in den Wasserfall sprang.
Das Seil schnalzte wie eine Peitsche, als es sich unter seinem Gewicht spannte.
»Wir müssen ihn hochziehen!«, befahl Tobias. »Schnell! Sonst reißt ihn das Wasser mit!«
Drei Pans kamen ihm zu Hilfe, während die anderen noch mehr Fässer herbeirollten.
Aus der Tiefe drangen die Schreie der Soldaten, die bei ihrem Fall immer wieder dumpf auf der Treppe aufschlugen und bei dem verzweifelten Versuch, sich irgendwo festzuklammern, sämtliche Laternenhalterungen aus der Wand rissen. Diejenigen, die fortgeschwemmt worden waren, hatten schon eine Hunderte Meter lange Wildwasserfahrt hinter sich und mussten längst ertrunken oder an den Felsen zerschmettert sein.
Tobias und seine Helfer zerrten so lange an dem Seil, bis Matt aus dem gurgelnden Strom auftauchte und nach Luft schnappte. Noch zwei Züge, dann hievte er sich auf die Treppe und kroch keuchend ein paar Stufen hinauf, wie erschlagen von der Wucht des Wasserfalls. Schließlich blieb er völlig
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