Alterra. Im Reich der Königin
dann beschrieben sie einen weiten Kreis und schwirrten immer schneller, während sie in einer langgezogenen Spirale in den Himmel aufstiegen.
Da zuckte etwas aus der Finsternis hervor und erhaschte einen Vogel. Es war so rasch gegangen, dass Matt nichts hatte erkennen können.
Ein weiterer Vogel wurde im Flug gepackt. Dann noch einer.
Plötzlich bemerkte Matt etwas, das einer langen dünnen Zunge ähnelte. Es zischte durch die Luft, schlang sich um eines der Tiere und riss es mit sich in das Dickicht des Waldes.
»Oh! Wahnsinn!«, rief Matt, ohne das Fernglas zu senken.
»Hast du das gesehen? Krass, oder? Ich konnte nicht erkennen, was genau es ist, aber ich tippe auf eine Art Rieseneidechse.«
»Wenn die Zunge schon auf diese Entfernung so lang wirkt, kann man davon ausgehen, dass dieses Ding gigantisch ist«, sagte Matt mit zitternder Stimme. »Ungeheuerlich.«
Ein paar Sekunden später waren alle Vögel verschlungen.
Matt gab seinem Freund das Fernglas zurück und kauerte sich entmutigt nieder.
»Hoffentlich haust dieses Ding nur oben in den Wipfeln.«
Tobias setzte sich neben ihn.
»Das ist noch nicht alles. Ich habe mehrmals beobachtet, wie sich das Blätterwerk bewegt hat, und das lag nicht am Wind! Irgendetwas Riesiges hat kurz rot aufgeschimmert, dann war es wieder weg. Und es gibt auch so eine Art Monsterlibelle! Ich schwör’s dir! Ich frag mich echt, ob es eine gute Idee ist, dort reinzugehen.«
Matt wollte ihm schon von seinen eigenen Zweifeln berichten, überlegte es sich aber im letzten Moment anders. Schließlich war er es, der die anderen zur Eile antrieb, der sie anführte und ihnen Entschlossenheit vermittelte, indem er sich sicher und willensstark zeigte. Wenn er Zweifel äußerte, schwächte er sie alle.
Und das konnten sie sich so kurz vor der entscheidenden Etappe ihrer Reise nicht leisten.
Matt schluckte seine Furcht hinunter und befahl sich, Zuversicht und Selbstvertrauen auszustrahlen.
Dazu war er in der Lage.
Aber wie lange noch?
6. Honig, Sporen und Chitin
D ie Sonne spitzte gerade über dem Horizont hervor, da hatte Terrell seine Truppe schon um sich geschart. Die Rucksäcke waren geschnürt, die Feldflaschen mit Wasser aus dem Bach gefüllt; sie waren bereit zum Abmarsch.
Der Anführer des Teams der Wilden trat zu Matt.
»Es ist Zeit, Lebewohl zu sagen.«
»Und wieso nicht auf Wiedersehen?«
Terrell streckte Matt die Hand hin.
»Vielleicht.«
Matt und Tobias schüttelten ihm die Hand, doch als Ambre sich verabschieden wollte, wandte Terrell sich bereits ab und zeigte auf die ersten Baumreihen des Blinden Waldes.
»Immer nach Süden. Seid so leise wie möglich, macht kein Feuer, benutzt kein helles Licht, kurzum: Verhaltet euch stets diskret und unauffällig. Viel Glück!« Er beugte sich zu Matt, deutete mit dem Daumen auf Ambre und fügte hinzu: »Und nimm dich vor der in Acht. Sie ist eine Frau und wird versuchen, dir Flausen in den Kopf zu setzen, und ehe du dichs versiehst, bist du selbst ein Zynik.«
Obwohl Matt ihn am liebsten wütend zurechtgewiesen hätte, brachte er kein Wort über die Lippen. Er wollte Ambre verteidigen, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Sie war seine beste Freundin, da gab es nichts zu befürchten.
Terrell und seine Bande schlugen sich durch das hohe Gras und winkten ihnen noch ein letztes Mal zu, ehe sie hinter einer Baumgruppe verschwanden.
»Dann mal los, Leute«, sagte Matt und schnallte erst sein Schwert, dann seinen Rucksack auf den Rücken.
»Ich habe mich beinahe schon an sie gewöhnt«, jammerte Tobias. »Es wird uns komisch vorkommen, wieder nur zu dritt zu sein. Ich glaube, sie werden mir fehlen.«
»Mir nicht«, sagte Ambre trocken und marschierte als Erste los.
Als sie nach etwa zwanzig Minuten die ersten knorrigen Gewächse des äußersten Rings erreichten, verdunkelte sich der Himmel. Die Morgensonne schien hinter einem undurchsichtigen Schleier zu verschwinden, und Matt verstand auf einmal, warum man diesen Wald den »Blinden Wald« nannte.
Im Zickzackkurs gingen sie zwischen brusthohen Gräsern und riesigen Margeriten mit seidigen, wagenradgroßen Blüten hindurch.
Dann war der so gefürchtete Augenblick gekommen.
Schon nach den ersten Schritten im Blinden Wald musste die Gemeinschaft der Drei eine zwei Meter hohe Wurzel erklimmen. Dann kletterten sie über ein Flechtwerk aus gigantischen Baumstümpfen, bis sie wieder festen Boden unter sich spürten. Auch die Pflanzen, die zwischen den Bäumen wuchsen,
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