Alterra. Im Reich der Königin
drüben liegen noch mehr«, stellte Ambre fest. »Keine regt sich. Sind sie alle tot?«
Matt überprüfte die anderen Leuchtkörper und bestätigte diese Vermutung.
»Sieht aus wie eine Art Schlachtfeld.«
»Oder ein Friedhof«, fügte Tobias hinzu. »Das hieße, dass weitere Artgenossen hier herumspazieren könnten.«
Matt überlegte.
»Ich vertraue auf Plusch. Sie wird uns vor Gefahren warnen, wenn wir schlafen. Und diese Ameisen sieht man ja wenigstens schon von weitem!«
Wenig später war Ambre, an die Hündin geschmiegt, eingenickt. Doch weder Tobias noch Matt gelang es, ihrem Beispiel zu folgen. Der Ort machte sie nervös.
Die leeren Ameisenhüllen schimmerten in der Nacht wie an den Erdboden gefesselte Gespenster.
Die beiden Jungen unterhielten sich noch eine Weile im Flüsterton.
Dann übermannte auch sie die Müdigkeit, und ihre Lider sanken herab.
So sahen sie den Nebel nicht mehr, der wie eine gewaltige Welle zwischen den Bäumen anschwoll und ihr Lager langsam umzingelte.
Ihre Atemzüge waren ruhig und regelmäßig.
7. Traum und Wirklichkeit
S eine Gestalt war dünn wie ein Tuch, und dennoch barg sie ein endloses Schattenreich in sich. Sein Körper war ein Tor zum Jenseits, zu einer finsteren, verdorrten Welt ohne Leben, zu den Tiefen seiner schwarzen Seele.
Sein Wesen war gespalten, und das machte ihn zum Ungeheuer.
Schnell, mächtig, gnadenlos.
Umhüllt von seinem Nebelmantel, glitt der Torvaderon mit seinem Gefolge von Stelzenläufern von Baum zu Baum.
Er hatte das Gewitter abklingen lassen und bewegte sich nunmehr langsamer, aber zugleich leiser fort. Seine Glieder flatterten im Wind, während er unaufhörlich die Richtung wechselte.
Er kam näher, das spürte er.
Der Junge war ganz nah.
Er konnte ihn fast riechen.
In der Einöde in seinem Innern drehte sich seine Seele um sich selbst, zitterte vor Erregung, bebte vor Ungeduld.
Er musste einen Kontakt herstellen, um den Jungen zu orten.
Der Torvaderon konzentrierte sich. In den Untiefen seines Schattenreichs befanden sich Schächte, in denen es gurgelte und gluckste, Falltüren, die zu fernen Ebenen führten, Tore zu anderen Formen des Bewusstseins und des Unterbewusstseins. Er suchte den Gang, der in die Realität der äußeren Welt hinausführte, in jene zerbrechliche, unsichtbare Schicht, die alle Wesen nicht durch das, was sie wissen, sondern durch alles, was sie nicht wissen, miteinander verbindet. Eine winzige Röhre, kaum wahrnehmbar, wie ein dünner Rauchfaden, der aus den verborgenen Winkeln des Geistes aufsteigt.
Das Unterbewusstsein jedes Wesens bestand aus einem Netz aus Schatten und verdrängten Trieben. Aus Tabus.
Der Torvaderon sandte seine Seele in dieses komplexe Gewebe und erforschte alles, was sich dort bewegte, schneller als Strom, schneller als Licht im All.
Die Träume und Alpträume dehnten sich aus, bis sie schließlich den Träumenden verließen, sich ausbreiteten und manchmal sogar mit anderen vermischten.
Der Torvaderon durchsuchte diese Traumbruchstücke, diese Gedankenfetzen, er stürzte sich auf jedes Bild und jedes Wort, das auf dieser Ebene schwebte.
Es dauerte eine Weile, bis er spürte, dass er sich Matt näherte. Der Junge schlief, und er träumte. Er war nah, ganz nah; seine Träume hatten eine unverwechselbare Textur, es war kein Irrtum möglich.
Dann war er am Ziel.
Der Torvaderon fand die gewundene Röhre, die er so verbissen gesucht hatte, und glitt vorsichtig in sie hinein, um den Jungen nicht aufzuwecken.
So gelangte er in sein Innerstes.
Zu der Doppelgestalt seiner Seele.
Das Bewusstsein glomm schwach, sein Licht pulsierte ruhig, verschwand an manchen Stellen ganz. Das Unterbewusstsein hingegen strahlte ein intensives, zuckendes Licht aus, es schöpfte Energie aus seinem schlafenden Gegenstück, wandelte sie um und zehrte davon.
Der Torvaderon schlich sich hinein. Er hatte keine Zeit zu verlieren, der Junge durfte ihm auf keinen Fall entkommen.
Er war kurz davor, endlich seine Gedanken lesen zu können.
Da reagierte das Unterbewusstsein auf den Eindringling: Es sandte gewaltige Blitze aus, die die Träume des Jungen augenblicklich änderten.
Der Torvaderon erkannte, dass er sich beeilen musste.
Wie Sonden in einem Gehirn bohrten sich seine Fühler in Matts Seele und begannen, die Informationen auszusaugen.
Der Junge wurde inzwischen von Alpträumen geplagt.
Er konnte sehen, wie der Torvaderon ihn einkreiste.
Wie er ihn ins schwarze Nichts zog.
Der Torvaderon fand, was
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