Alterra. Im Reich der Königin
Klagen, die an den Gesang von Walen erinnerten. Auch wenn sie hin und wieder kleine Schatten auffliegen oder von Ast zu Ast springen sahen, bekamen sie kein einziges Tier zu Gesicht. Tobias’ Pilz warf einen kegelförmigen Lichtschein, der nur einige Meter weit reichte; ringsum ragte eine Mauer aus geräuschvoller Finsternis auf, so dass sie den Eindruck hatten, auf dem Grund einer Schlucht zu wandeln.
Matt blickte immer wieder auf den Kompass, weil er fürchtete, vom Kurs abzukommen. Auch das Zeitgefühl war ihnen schon längst verlorengegangen. Wie sollten sie wissen, wann es Zeit war, zu essen oder zu schlafen? Sollten sie einfach ihrem Körper vertrauen?
Um sich zu beruhigen, redete er sich ein, dass sie im Laufe der Tage einen gewissen Rhythmus entwickeln und instinktiv wissen würden, wann sie anhalten mussten.
Plötzlich sahen sie im Unterholz ein helles weißes Licht schimmern.
»Ob hier wohl Menschen leben?«, fragte Tobias.
»Werden wir ja gleich sehen«, erwiderte Matt.
»Kommt nicht in Frage«, protestierte Ambre. »Wir machen besser einen großen Bogen um die Stelle.«
»Vielleicht finden wir da eine zusätzliche Lichtquelle für uns«, entgegnete Matt.
»Oder eine zusätzliche Gefahr!«
»Ich bin dafür, dass wir uns das aus der Nähe anschauen. Was meinst du, Tobias?«
»Öhm … weiß nicht. Okay, einverstanden. Wir werfen ein Auge drauf, und wenn es uns nicht geheuer ist, dann zischen wir ab.«
Ambre seufzte und winkte resigniert ab.
»Dass Männer immer die Helden spielen müssen!«
Das Licht befand sich weiter weg, als sie gedacht hatten, und als sie endlich dort ankamen, traten sie überrascht auf eine winzige Lichtung hinaus, über der in etwa zehn Metern Höhe ein laternenähnlicher Gegenstand schwebte.
Der seltsame Lampion beleuchtete die untersten Äste der umstehenden Bäume, an denen ganz gewöhnliche Blätter hingen. Matt vermutete, dass sie nach oben hin immer größer wurden, bis sie in der Baumkrone die Dimension eines olympischen Schwimmbeckens erreichten.
»Was mag das sein?«, überlegte Tobias laut.
Ambre stellte sich auf die Zehenspitzen, kniff die Augen zusammen und meinte:
»Sieht aus wie ein Leuchtglobus, wie eine Deckenlampe.«
»Vielleicht kann man das Ding irgendwie runterschießen. Mal sehen, ob es am Boden auch noch leuchtet.«
Tobias packte seinen Bogen und legte einen Pfeil auf. Matt gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er noch abwarten solle.
»Da oben ist noch etwas anderes. Deine Deckenlampe hängt offenbar … an einer Art Stock.«
Matt griff nach einem Stück Holz und warf es direkt unter den Globus.
Im nächsten Moment raschelte es in dem dichten Gebüsch gegenüber, und ein riesiges Maul voller glitzernder Reißzähne tauchte auf. Darüber blitzten zwei unheimliche schwarze Augen.
Jeder einzelne Zahn des Monsters war so groß wie Matt.
8. Rettende Sternschnuppen
E ine klebrige und von Pusteln übersäte Zunge betastete das Holzstück. Dann zog sie sich wieder in das schaurige Maul zurück.
Die schwarzen Augen rollten in alle Richtungen, zwei Nasenschlitze zuckten.
Das Wesen suchte seine Beute.
Matt zog seine beiden Freunde hastig an sich, um ihnen klarzumachen, dass sie sich nicht von der Stelle rühren sollten.
Allein der Kopf dieser grauenhaften Gestalt war größer als jegliche Lebensform, die Matt je gesehen hatte. Er wagte sich gar nicht vorzustellen, welche Ausmaße der restliche Körper hatte. Was war das? Eine Art Wurm? Die seltsame Deckenlampe war durch eine gelbliche Antenne mit dem Kopf der Kreatur verbunden, was Matt an einen Fisch erinnerte, den er einmal in einem Dokumentarfilm über Tiefseetiere gesehen hatte.
»Es hat uns noch nicht entdeckt«, murmelte Tobias und machte Anstalten zu fliehen.
Matt hielt ihn zurück.
»Warte! Es hält Ausschau …«
Nach einigen nicht enden wollenden Sekunden zog sich die unheimliche Fratze wieder in das Gebüsch zurück. Nur der Lampion baumelte weiter über der Lichtung.
»Jetzt«, flüsterte Matt.
Sie wichen vorsichtig zurück und liefen erst schneller, nachdem sie in sicherer Entfernung waren.
»Das nächste Mal solltet ihr auf mich hören«, orakelte Ambre. »Dieser Wald verheißt ganz und gar nichts Gutes. Je zügiger wir ihn durchqueren, desto besser.«
»Wir wissen aber nicht, wie lange es dauern wird, oder?«, hakte Tobias nach.
»Nein. Mindestens ein paar Tage.«
Trotz ihrer Erschöpfung zwangen sie sich, noch drei Stunden weiterzugehen, denn keiner von
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