Alterra. Im Reich der Königin
aufziehen!«, warnte Tobias. »Und zwar schnell! Sonst kommen wir nicht von der Stelle.«
»Und wenn Windstille herrscht?«, fragte Matt, während er sich aufrappelte.
»Vergiss nicht, dass wir uns auf beinahe tausend Metern Höhe befinden, hier gibt es immer Wind. Kommt jetzt, allein schaffe ich es nicht.«
Sie folgten Tobias’ Anweisungen und ließen drei riesige Drachen aufsteigen, die wiederum andere, größere Segel mit hinaufzogen, je mehr sie an Höhe gewannen und sich aufblähten. Innerhalb einer Viertelstunde flatterte genug Segelwerk über dem Bug, um den waggongroßen Rumpf über das Blättermeer zu tragen.
»Ich fahre jetzt das Steuerruder aus!«, rief Tobias, sobald sie etwa hundert Meter vom Großen Nest entfernt waren.
Matt stellte sich neben Ambre.
»Ist alles gutgegangen? Du warst verdammt lange weg, ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Ja.«
Eine so lakonische Antwort sah Ambre gar nicht ähnlich. War sie sauer auf ihn, weil er ihnen dieses Schlamassel eingebrockt hatte, oder verschwieg sie etwas?
»In welche Richtung müssen wir?«, fragte Tobias vom Heck.
Matt musterte Ambre kurz, bevor er sich mit einem Kompass in der Hand zu ihrem Steuermann gesellte.
»Richtung Süden! Zum südlichen Ufer des Blinden Waldes, ins Land der Zyniks und dieser Königin.«
Matt warf Ambre einen letzten Blick zu. Sie betrachtete das Große Nest, das in der Ferne rasch zusammenschrumpfte.
18. Der Rote Tod
D ie drei Freunde segelten die ganze Nacht über das Trockene Meer. Tobias erteilte die Kommandos, und Matt zog gehorsam an dieser und jener Leine, um bestimmte Segel richtig in den Wind zu drehen. Die Navigation erwies sich als leichter als erwartet.
Ambre war in der Kajüte eingeschlafen.
Im Osten zeigte sich ein erster Lichtschimmer.
»Glaubst du, dass Ambre ernsthaft sauer auf uns ist?«, fragte Tobias.
»Scheint so.«
»Wir haben uns wirklich wie die letzten Idioten benommen.«
»Ich bereue es nicht«, erwiderte Matt entschlossen. »Die Chloropanphylliker waren einfach zu undurchsichtig: Die Mitglieder des Rats der Frauen geben sich nicht zu erkennen, ihre Geschichte und ihr Ursprung sind tabu, selbst ihren eigenen Leuten verheimlichen sie so einiges. Sie wussten sogar über die Königin der Zyniks Bescheid!«
»Andererseits kann man das gut verstehen, wenn die einzigen Pans, denen sie bislang begegnet sind, sie nur angegriffen haben.«
Matt zuckte die Achseln.
»Ich gebe zu, dass ich ein wenig ungeduldig und vielleicht auch paranoid war«, sagte er, nachdem er eine Weile nach den richtigen Worten gesucht hatte.
Tobias genoss den frischen Wind, der ihm durchs Haar strich. Es war mehrere Monate her, seit er sie zum letzten Mal geschnitten hatte, und inzwischen waren sie ihm wie ein runder Helm um den Kopf gewachsen.
»Was steht jetzt an?«, fragte er.
»Die Zyniks finden, und wenn wir niemanden treffen, den wir aushorchen können, ohne dass es in einen Kampf ausartet, folgen wir ihnen unauffällig. Ich bin sicher, dass wir auf die Weise mehr über diese Malronce und die Entführungen herausfinden werden. Und auch über den Steckbrief, mit dem ich gesucht werde.«
Tobias spürte, dass sein Freund bedrückt war, und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, wie es seiner Ansicht nach ein guter Kumpel in einer solchen Lage eben tat.
Schweigend sahen sie die Sonne am Horizont aufgehen. Sie konnten kaum noch die Augen aufhalten, ihre Glieder schmerzten, und ihre Sinne waren wie benebelt, aber sie blieben auf Kurs und schwebten in flotter Fahrt über die Wipfel. Das ungeheure Ruder aus Holz und Stahlteilen war ihr einziger Kontakt mit dem Wald; es hinterließ eine Spur aus zerbrochenen Ästen in ihrem Kielwasser.
»Daran habe ich nicht gedacht«, fluchte Matt. »So können sie uns mühelos folgen.«
»Glaubst du wirklich, dass sie es versuchen werden?«
»Alles andere würde mich überraschen.«
Ambre stand am späten Vormittag auf. Erholt und lächelnd.
»Wenn ihr mir erklärt, wie das funktioniert, löse ich euch ab, damit ihr euch ausruhen könnt.«
Tobias ließ sich nicht lange bitten. Er zeigte ihr, wie man das Ruder und die Segel betätigte, um den Kurs zu halten, und schärfte ihr ein, den Bläsern unbedingt regelmäßig zu fressen zu geben, damit die Ballone nicht abschlafften. Danach verzog er sich gähnend in die Kajüte. Matt blieb neben Ambre stehen und beobachtete sie aus dem Augenwinkel, während sie steuerte.
Sie war wunderschön, wie sie so im Mittagslicht dasaß und das
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