Alterra. Im Reich der Königin
argwöhnisch.
Ambre trat unbeeindruckt einen Schritt nach vorn und schlug ihre Kapuze zurück.
»Ich werde bald sechzehn«, sagte sie. »Aber keine Sorge, wir sind nicht wie die anderen Kinder, wir haben beschlossen, uns den Erwachsenen anzuschließen, denn Sie haben recht. Bei den Pans gibt es keine Zukunft.«
Balthazar nickte eifrig.
»Ah, ihr habt das Alter der Vernunft erreicht. Das ist eine feine Sache, nicht wahr, wenn man nach so langer Zeit im Dunkeln zum Licht findet!«
»Was ist das Alter der Vernunft?«, fragte Tobias weniger selbstbewusst als Ambre.
»Das, was du gerade durchmachst, mein Junge! Wenn ein Heranwachsender endlich den Ernst des Lebens begreift, dann überschreitet er eine Grenze, übernimmt Verantwortung und wird einer von uns. Woche für Woche kommen viele Jungen und Mädchen wie ihr zu uns, verraten ihre Gemeinschaft und öffnen endlich die Augen.«
»Colin …«, murmelte Tobias.
Balthazar schien hervorragend zu hören, denn er hatte trotz der Entfernung verstanden, was Tobias gesagt hatte.
»Colin? Ja, ich kenne einen jungen Mann dieses Namens, der vor kurzem seinen Klan verlassen hat.«
Ambre und Tobias wechselten wieder einen flüchtigen Blick.
»Ein Junge mit langen braunen Haaren und vielen Pickeln?«, fragte Tobias.
»Ich glaube, diese knappe Beschreibung trifft es sehr gut.«
»Wissen Sie, wo wir ihn antreffen können?«, fragte Ambre.
»Um bei uns aufgenommen zu werden, muss man sich nützlich machen. Er hat versprochen, unseren Truppen einen ganzen Klan zu liefern. Das hat er nicht geschafft, eigentlich hätte er also verbannt werden müssen, doch es gibt in der Stadt einen Mann, der die ausgestoßenen Jugendlichen unter seine Fittiche nimmt.«
»Wie heißt dieser Mann?«
»Ihr dürft ihm nicht zu nahe kommen, glaubt mir, das ist ein Unmensch, mit dem niemand etwas zu tun haben sollte! Wir nennen ihn den Unschuldstrinker. Er wohnt in dem steinernen Turm im Stadtzentrum. Aber wenn ihr Colin sucht, geht einfach in die Taverne hier gegenüber, dort ist er eigentlich jeden Tag, wenn sein Herr nicht in der Stadt ist.«
Tobias machte nun ebenfalls einen Schritt nach vorn.
»Erinnern Sie sich wirklich gar nicht an Ihre Vergangenheit?«
Balthazar rieb sich verwundert das Kinn.
»Wieso sollte ich, mein Lieber?«
»Ich … Ich frage ja nur.«
»Nein, überhaupt nicht. Jetzt verlasst bitte meinen Laden. Ihr seid neu in der Stadt, ihr müsst euch als Erstes beim Ministerium der Königin melden. Das ist verpflichtend, sonst könnt ihr verhaftet werden. Es befindet sich in der Stadtmitte, in den alten Gebäuden, die wie ein Schloss aussehen.«
Ambre dankte ihm und zog Tobias nach draußen. Als sie an der Türschwelle angelangt waren, rief der alte Balthazar ihnen nach:
»Eigentlich müsste ich den Verantwortlichen eure Anwesenheit in der Stadt melden! Aber ich werde es nicht tun. Ich vertraue euch. Beeilt euch mit der Anmeldung oder flieht!«
Als sie den Laden verließen, vermeinte Tobias zu erkennen, wie die Augen des alten Mannes gelb wurden und die Pupillen sich in die Länge zogen wie bei einer Schlange. Er zwinkerte ihnen zu, dann fiel die Tür ins Schloss.
22. Ein alter Bekannter
A mbre ließ sich auf eine Steinbank sinken und blickte verstört zu Boden.
»Es ist unvermeidlich«, sagte sie traurig. »Dadurch, dass wir älter werden, verändern wir uns, bis wir eines Tages ins Lager der Zyniks überwechseln.«
Tobias setzte sich neben sie und packte sie an den Schultern.
»Das ist nicht sicher! Schau uns doch an: Wir haben schon so viel durchgemacht und erlebt, aber wir haben trotzdem nicht das Gefühl, ihnen ähnlich geworden zu sein. Und dabei sind wir viel reifer als früher, wenn du mich fragst.«
»Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass es nur um geistige Reife geht, es ist auch eine … körperliche Entwicklung.«
»Wie meinst du das?«
»Ich spreche von der Sexualität, Toby, von Begehren! Diese Bedürfnisse, die sich in uns zu regen beginnen, könnten der Auslöser dafür sein, dass wir uns den anderen, jüngeren Pans entfremden und irgendwann keine Gemeinsamkeit mehr zwischen uns sehen. Die Pubertät zerstört unser inneres Gleichgewicht, und wenn die Hormone uns nach und nach zu Zyniks werden lassen, dann gibt es keine Hoffnung mehr, denn das ist eine ganz normale Entwicklung, die keiner von uns aufhalten kann!«
»Ich glaube nicht, dass es nur daran liegt, weil … Ich zum Beispiel, ich habe manchmal Träume, die ziemlich … Verstehst du,
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