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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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hingeschlagen.
    Sein in der Pfanne aufgebratenes Gänseweißsauer mit Röstkartoffeln, auf das er sich so gefreut hatte, hat der dicke Bauer Tamm an diesem Abend nur mit Unterbrechungen – und kalt – essen können. Denn er hat doch immer nachsehen müssen, ob der Professor Kittguß auch richtig ins Bett gebracht wurde und ob die Ziegelsteine, die sie ihm gegen die kalten, müden Füße legten, nicht zu heiß waren. Und in eigener Person ist er noch in Holztuffelnin die Schenke geschoben und hat mit dem Krüger Otto Beier beratschlagt, was so einem alten Mann wohl zur Stärkung anzubieten und einzuflößen wäre.
    Mit einer Flasche schönem altem Rotwein ist er zurückgekehrt, und dann hat er mit seiner Frau in der Küche einen süßen Glühwein gekocht, und sie sprudelten auch noch ein Eigelb hinein. Aber dabei verabredeten sie, daß sie morgen früh den alten Herrn mit dem Stuhlwagen wieder auf die Bahn und nach Hause schicken wollten: Denn »denen hier ist er nicht gewachsen, nicht dem Schlieker und der Marie auch nicht. Und was will er hier überhaupt?! Wenn’s der Behörde recht ist, wie Schliekers es treiben, so wollen wir uns um Gottes willen nicht einmischen. Den Schlieker mag niemand zum Feind, und unserer wäre er gleich, wohnte der alte Mann bei uns.«
    Als sie aber mit ihrem Glühwein zum Bewußtlosen zurückkehrten, saß der aufrecht und gerade im Bett und sah sie groß und fremd an. Sie redeten ihm zu, er möge doch trinken und sich wieder hinlegen und gesundschlafen – da bat er nur sanft um seine Bibel aus der Handtasche.
    Er bekam sie, aber wenn sich gleich dies Buch der Bücher von selbst bei der Offenbarung Johannis aufschlug: für dieses Mal blätterte der Professor Kittguß weit zurück. Er blätterte durch das ganze Neue Testament und blätterte weiter zurück, bis zu den Psalmen Davids. Und hier las er den 10. Psalm vom Übermut der Feinde, und er las unter anderm: »Herr, warum trittst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not? Weil der Gottlose Übermut treibt, muß der Elende leiden … Der Gottlosen Mund ist voll Fluchens, Falschheit und Trugs, seine Zunge richtet Mühe und Arbeit an. Er sitzt und lauert in den Dörfern; er erwürgt die Unschuldigen heimlich … Stehe auf, Herr; Gott, erhebe deine Hand, vergiß der Elenden nicht! …«
    Dann sah der Professor Kittguß seine Wirtsleute traurigan, seufzte tief, legte sich auf die Seite und schloß die Augen. Tamms aber schlichen sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und nahmen die Lampe mit fort.
    Jawohl, ja, das Licht war fortgenommen, und Professor Kittguß lag allein mit sich im Dunkeln. Er war sehr traurig, sehr mutlos, sehr krank. Das ungewohnte Bett quälte ihn, ungewohnte Gedanken quälten ihn. Gerade vierundzwanzig Stunden und vier war es her, daß der närrische Bote sein geborgenes, weltfernes Heim betreten hatte, und hier lag er, schon am Ende der körperlichen Kräfte, aber auch müde, todmüde in seinem Geist … Und morgen würde er wieder zu Päule Schlieker hingehen müssen, und wieder würde er der Tücke und der Falschheit ausgeliefert sein. Was aber würde er erreichen? Was wollte er erreichen? Was in aller Welt konnte er tun –?
    Der Professor warf sich auf die andere Seite, aber eine tröstliche Seite war die auch nicht. Er dachte an Vorladungen, gerichtliche Streitigkeiten, Anwälte gar, an Prozesse hin und her – und nun war es ihm, als stünde er in seinem alten Klassenzimmer auf dem Katheder, und eine seltsame Schülerversammlung hatte er vor sich. Da waren bärtige Gesichter, die ihm bekannt und doch fremd erschienen; da waren aber auch der Hütefritz und der Greis, der nach dem Schinken geklettert war. Da saßen der dicke Bauer Tamm und seine Frau Lowising und der derbe Sohn; und nebeneinander hielten den Finger hoch der Päule Schlieker und sein Weib Mali.
    An die Tafel aber hatte der Professor seine Gleichung zur Auflösung der apokalyptischen Zeitläufte geschrieben. Er sah sie an, und sie war richtig. Doch niemanden von all denen, die mit dem Finger zeigten, rief der Professor, sondern er sah angestrengt in den Ofenwinkel. Dort war es dämmrig, aber er meinte doch, eine sanfte Helligkeit zu schauen, und er rief leise: »Rosemarie!«
    Langsam ging sie zu ihm aufs Pult, und wieder sah er den unbestimmten Märchenglanz ihrer blaugrauen Augen, und das Herz tat ihm weh.
    Aber sie nahm von ihm nicht die Kreide, die er ihr bot zur Lösung der Gleichung, sondern sie nahm den Schwamm aus der Schale, und langsam

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