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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Arm ausritzen willst, versuch es! Dämlich genug bist du dazu, wenn du auch lange nicht so dämlich bist, wie du aussiehst, und fassen tu ich dich allemal wieder.«
    Der Professor sah, sah – und rieb sich die Augen. Aber was er sah, ließ sich nicht fortreiben: es war und blieb sein heimlicher Bote: Philipp, der vor zwei Tagen mit Rosemaries Brief bei ihm im Studierzimmer gestanden, der ihn nach Unsadel berufen hatte, um den er sich fast mit der jahrelang erprobten Witwe Müller gestritten hätte, derselbe Philipp – aber wie sah der Junge aus!
    Damals schon war er ein recht kummervolles Geschöpf gewesen, aber wie er jetzt dastand und höchst naturgetreu tat, als sähe er nicht den Professor und gar nichts auf der Welt, schlotternd, mit hohlen Wangen und einem blaugeschlagenen oder -gefallenen Auge – da fiel dem Professor doch so allerlei auf die liebe Seele, und ganz unwillkürlich rief er: »Aber es ist doch nicht die Möglichkeit! Ist
er
denn das?!«
    »Jawohl, ein entlaufener Knecht ist das«, sagte der GendarmPeter Gneis strenge. »Und die Dresche, die ihm seine Dienstherrschaft bei der heutigen fröhlichen Heimkunft verabreichen wird, die möchten wir beide, Sie und ich, nicht besehen. – Ein Helles und einen Korn, Stillfritz. Ja, da staunst du. Das ist der entlaufene Knecht vom Päule Schlieker in Unsadel, und per Schub haben wir ihn, Kollege auf Kollege, von Gransee bis hier gebracht. Was in aller Welt er da gesucht hat, das wissen wir nicht und werden’s auch nicht erfahren. Denn der stirbt eher, als daß er den Mund auftut.«
    »Junge, Junge«, sagte Stillfritz und rieb sich wieder einmal seinen blauroten Methusalem. »Ich will es dir ja glauben, daß der Dienst beim Päule Schlieker nicht gerade ein Rosendienst ist. Aber das hättest du doch wissen müssen, daß man nach der Mecklenburgischen Gesindeordnung sein Jahr auszuhalten hat, gut oder schlecht. Aber wenn du nun einmal solch bösen Empfang haben sollst, oller Döskopp, du – keiner soll sagen, daß dich der Stillfritz zu deiner Prügelsuppe ohne eine Hühnersuppe hätte gehen lassen. Kiek mich an, Junge! Willst was essen –? Happenpappen, Happenpappen, so … soooo?«
    Und er kaute gewaltig schmatzend die Luft.
    In das unbewegte Narrengesicht kam ein Schein von Leben und Helligkeit wie von einem Lächeln. Was aller Jammer und alle Entbehrung und alle wunden Füße nicht hatten vollbringen können, das vollbrachte jetzt der Wirt Stillfritz mit seinem Kauen: zwei einzelne, blanke, große Tränen rollten über die verhungerten Backen.
    »Na, weine bloß nicht, Sohn! Gleich kriegst du was zu essen. – Nanu, was soll nun wieder das?!«
    Denn da stand hoch und feierlich mit der Tasse Hühnerbrühe in der Hand der Professor Kittguß neben dem Wirt und sprach: »Wenn einer dem Jungen Essen zu geben hat, bin ich es. Und wenn einer fragt, Herr Gendarm, warum und zu wem er entlaufen ist, antworten Sie ihm: zu mir! Zumir, dem Professor Gotthold Kittguß in Berlin, denn mir hat er einen Brief von meinem Patchen gebracht. Und wenn Kosten entstanden sind, will ich sie tragen. Und wenn es Prügel geben soll, will ich mitgehen, und es wird keine Prügel geben!«
    »Ich denke, Sie reisen in Zigarren«, wunderte sich der Wirt.
    »So – ho«, sagte der Gendarm amtlich und fingerte schon nach seinem Notizbuch. »Sie wollen also behaupten …«
    Und so wären sie denn wohl alle drei, nach Männerart, erst einmal in eine hübsche theoretische Verhandlung geraten, statt etwas Vernünftiges zu tun …, wenn nicht der Duft der Hühnerbrühe dem verhungerten Philipp gar zu verlockend in die Nase gestiegen wäre. Fast riß er dem Professor die Tasse fort, setzte sie an, und leer war sie! Der Philipp aber blickte verblüfft in die Tasse und sah in diesem Augenblick genau wie jener berühmte Löwe aus, der meinte, ein Kalb zu verschlingen. Er erwischte aber die Erbse und fand, sein Maul blieb überraschend leer.
    Da erkannten sie, was als erstes nottat, und keine fünf Minuten, so saß Philipp an einem Tisch, und die Kartoffelschüssel schien ihm keineswegs zu groß, und daß ein ausgewachsenes Suppenhuhn eigentlich ein Zweimännervogel ist, daran glaubte er auch nicht.
    Er aß und aß, und die andern sahen ihm zu, und da ein tüchtiger Esser, der Gottes guter Gabe Ehre antut, stets Behaglichkeit verbreitet, so sagte auch der Landgendarm Peter Gneis jetzt ganz friedlich: »Ja, mein lieber Herr Professor aus Berlin, gutes Herz hin und schwacher Kopf her, aber Dienst

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