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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wieder planend an die große, sechzehnjährige, geruhige Arbeit zu denken und an den Vers, der als nächster zu deuten war – es war natürlich auch richtig, daß die Unruhe in der Brust von den Anstrengungen des gestrigen Tages kam und von nichts anderm, gar nichts anderm.
    Aber schließlich kam doch ein Heckentor in Sicht, und auf ihm saß, mit den Beinen baumelnd und die Harmonika blasend, ein Junge. Der Professor erkannte ihn wohl: es war der Hütefritz. Und auch der Junge erkannte den Professor, und das Lied vom Heidenröslein brach mitteninne ab. Die Augen des Jungen wurden immer größer, bis sie so groß wie die Teetassenaugen aus dem Märchen schienen; er sah erstarrt, ohne jedes Beinebammeln, mit den großen Augen und dem ganz offenen Munde den abreisenden Professor an.
    Der sah ihn wieder an, und die Unruhe in der Brust wurde stärker, wurde zu einem Druck auf dem Herzen. Am liebsten hätte er den Maxe um einen kurzen Halt gebeten. Am liebsten wäre er vom Wagen gestiegen und hätte dem Jungen erklärt, daß so doch nichts für seine Freundin Rosemarie zu tun sei, daß aber Geld geschickt werden und daß damit alles, alles gut werden würde …
    Aber es ging zu schnell, die Braunen trabten, und das Jammerbild auf dem Heckentor glitt vorbei. Nur der Maxe schnüffelte noch wütend durch die Nase und drohte: »Das werde ich dem Bengel, dem Hütefritzen, schon zeigen, ob er zu dudeln oder zu hüten hat! Immer gehen seine Kühe in unsern Klee!«
    Worauf der Professor hastig erwiderte: »Oh, nicht doch! Oh, bitte nicht doch!«
    Dann schwiegen sie wieder beide, bis die Hecken zurückblieben und das Land sich mit allerlei Äckern immer weiter auftat. Über einen Hügelrücken sah schon der schieferschwarze Kirchturm von Kriwitz, und Maxe verkündete: »Wir schaffen den Zug gerade noch.«
    Doch zur gleichen Minute parierte er die Pferde in langsamsten Schritt und starrte verblüfft eine seltsame Prozession an, die ihnen auf dem Straßenrand entgegenkam. Es waren aber eins, zwei, drei, vier, fünf Diakonissen,die da in ihren schwarzen Übermäntelchen und weißen Hauben, eine hinter der andern, gegen den Stuhlwagen anrückten. Jede von den Schwestern trug ein Köfferchen in der Hand, und so gingen sie, ohne die Augen zu heben, heran – vorüber, und nur die letzte, eine derbe, rotbackige, wie gerade vom Lande geholt, hob für einen Augenblick die Augen und sagte leise: »Guten Tag.«
    Weil aber die vorderste, ein wahrer Mannskerl von einer Frau, mit wehenden Haaren am Kinn, hustend brummte, erschrak sie und lief beschleunigt, das Täschchen schwenkend, hinter den andern drein.
    Der Maxe, den Kopf im Nacken, starrte und starrte, bis die fünf Schwestern um die nächste Hügelecke verschwunden waren. Dann aber drehte er sich, vor Schadenfreude wahrhaft strahlend, dem Professor zu und sagte aus tiefster Brust: »O – haua – haua – ha! So mußte es kommen. Darauf freß ich einen Besen, der Päule Schlieker kriegt heute keinen guten Tag …«
    »Was haben denn die Diakonissen mit Herrn Schlieker zu tun?« fragte der Professor ängstlich.
    »Zu tun –!?« fragte der Maxe dagegen, fast empört über so viel Unverstand. »Zu holen haben sie die Kinder!«
    »Welche Kinder?« fragte der Professor und hätte doch lieber nicht weiter gefragt.
    »Natürlich die Pflegekinder, die bei Schliekers sind. Aber wer nicht hört, muß fühlen. Jetzt holen sie ihm die Kinder fort und damit hundertfünfzig Mark im Monat! Ohgottegottegott – wie das den Schliekers weh tun wird!«
    Und Maxe grinste über das ganze dicke, derbe Gesicht vor Mitgefühl.
    Der Professor mußte immer noch weiter fragen, sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe. »Halten die Schliekers denn die Kinder wirklich so schlecht?«
    Aber der Maxe war ein Bauernsohn und vorsichtig wieseine Eltern. »Weiß ich das?!« fragte er dagegen. »Ich gehe nicht zu Schliekers, und auf das Gerede der Leute darf man nicht hören. Aber jedenfalls sind die fünf Schwestern unterwegs, und ich gäbe einen Taler, wenn ich beim Wegholen über den Zaun sehen könnte. – Willst du mal laufen, Liese! Wir kriegen den Zug nicht mehr!«
    »Und die Rosemarie?« fragte der Professor angstvoll.
» Das
Kind holen die Schwestern doch wohl auch?«
    »Die kleine Thürke? Wieso denn die –?! Die Thürke ist Vormundschaft, und die fünf lütten Bälger sind Landratsamt – das hat doch nichts miteinander zu tun, Herr Professor!«
    »Aber das Kind kann doch nicht dort gelassen werden«, protestierte

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