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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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verdreschen?!« höhnte Hütefritz. »Komm bloß her …«
    »Halt!« riefen die andern. »Erst deinen rechten Arm auf den Rücken!«
    »Ich hau ihn auch mit dem linken zu Mus!«
    »Platte Wanze!« schrie schrill Witt die augenblicklich schwerste Beleidigung der Unsadeler Dorfjugend.
    »Los!« kommandierte Rosemarie, denn schon war dem Hütefritz der Arm mit Sackband auf den Rücken geschnürt.
    Die Kämpfer stürzten aufeinander, Hütefritz hob drohend den linken Arm, aber Witt war schon darunter weg. Ein auf den Rücken geschnürter Arm hindert rasche Bewegungen: wie ein Ziegenbock rannte mit eingezogenem Kopf Ernstel Witt Hütefritzens Hinterfront an. Der flog los, wie aus der Kanone geschossen, stolperte über eine Baumwurzel, angelte krampfhaft um Balance mit einem Arm … Noch ein Prellstoß des Böckleins, und schon schwamm Hütefritz bäuchlings auf dem Boden wie eine Padde, und die andern jubelten …
    »Was geht denn hier vor?« fragte von der Hütte her der Professor Kittguß, dem der ganze Elfen- und Rüpelzauber des Sommernachtstraums auf dieser mondbeschienenen Waldwiese lebendig geworden schien. »Rosemarie, mein Kind, was begibt sich hier?«
    Lautlose Stille nach dem Lärm, nur der Hütefritz schwamm noch, wütend um Hilfe flüsternd, auf dem Wiesenboden.
    »Es sind bloß meine Freunde aus dem Dorf, Pate«, sagte Rosemarie unschuldig.
    »Hier? Mitten in der Nacht?! Es ist bald elf. Du müßtest längst im Bett sein, mein Kind.«
    »Sie gehen schon, Pate. Los, Witt, hilf Fritzen auf. Bind ihm den Arm los …« Witt half. »Jetzt gebt euch die Hand. Und nun unsern Vers …«
    »Ich verstehe alles nicht«, murmelte der Professor unter der Türe hilflos.
    »Ich für dich, du für mich, Unsadel blühe ewiglich«, murmelten die beiden Kämpfer.
    »Los mit euch«, rief Rosemarie. »Im Wald könnt ihr noch schwatzen. Aber beim Dorf seid ihr mucksruhig. Gute Nacht!«
    »Gute Nacht, Rosemarie!« riefen sie und vergaßen den Professor.
    »Das ist unser Spruch, Pate«, erklärte Rosemarie. »Ich für dich, du für mich, Unsadel blühe ewiglich. Gefällt er dir?«
    »Ich glaube, Rosemarie«, sagte der Professor, »du bist schon ein sehr großes Mädchen.«
    Er stand nachdenklich. »Ich für dich, du für mich …«
    Dann bewegte er die Schultern: »Aber, ob groß oder klein, du mußt jetzt zu Bett gehen. Der Philipp ist längst eingeschlafen. Komm.«
    Sie gingen ins Waldhaus, und beide sprachen nicht mehr von dem, was sie auf den Herzen hatten, sondern jedes ging still hinter seinem Vorhängchen zu Bett und schlief nicht schlecht.

9. KAPITEL
    Worin ein Angeklagter zum Ankläger wird und Päule Schlieker einen Fang tut
    Wie Päule Schlieker diese Nacht in der Gefangenenzelle des Amtsgerichts Kriwitz geschlafen hatte, wird nicht berichtet. Der Justizwachtmeister Thode, genannt ThodeBrummig, erkundigte sich auch nicht danach, sondern schnauzte bloß: »Mitkommen!«
    Der Gefangene ging brav voran, der Wachtmeister ging brummig hintennach. Sie kamen durch eine Gittertür über einen staubigen Gang mit Aktenregalen, und dann klopfte Wachtmeister Thode gegen eine Tür, öffnete sie und meldete: »Polizeigefangener Paul Schlieker aus Unsadel, Herr Amtsgerichtsrat.«
    »Großartig!« krähte Amtsgerichtsrat Schulz. »Sie bleiben hier, Wachtmeister!«
    »Zu Befehl, Herr Amtsgerichtsrat«, sagte Thode Brummig und dachte noch brummiger an seinen ungegrabenen Garten.
    Der Amtsgerichtsrat besah sich seinen Gefangenen, aber der Gefangene sah seinen Richter nicht an. Er wußte nämlich auch so, wie der aussah, denn Amtsgerichtsrat Schulz war im Landkreis Kriwitz ein sehr bekannter Mann. »Schreischulze« hieß er, und diesen Übernamen hatte er davon, daß er auch noch die verbissensten Parteien im schlimmsten Wortgefecht überschreien konnte. Was ihm an Länge fehlte – und es fehlte ihm viel daran –, das ersetzte die Stimme. Und kein Landstreicher, kein Wilddieb, kein Holzfrevler und Mausehaken, der diese Stimme einmal kennengelernt hatte, versuchte, zum zweitenmal gegen sie aufzukommen. Sondern sah zu, daß die Verhandlung schön sänftiglich ging. Im übrigen war der Amtsgerichtsrat Schulz man bloß ein Männchen, er war sogar so klein, daß er sich den kurulischen Sessel in der Amtsstube und seinen Stuhl hinter dem Stillfritzschen Stammtisch zwanzig Zentimeter höher als jeden andern Kriwitzer Stuhl hatte bauen lassen.
    Aber daraus machte er kein Hehl, sondern sagte stolz von sich: »Klein, aber fein; klein, aber oho!«

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