Altes Herz geht auf die Reise - Roman
unerschütterlich, »daß vorgestern abend ein alter Knacker bei mir angekommen ist, mit heuchlerischem Augenverdrehen und Redensarten vom Seelenheil. An die Siebzig muß er auf dem Buckel haben, nannte sich Freund vom Pastor Thürke selig, und um die Rosemarie wollte er sich kümmern. Ja, kümmern.«
Schlieker hüstelte höhnisch.
»Und wie er nicht nachließ, und immer wieder wollte er die Rosemarie sehen und sprechen – und geküßt hat er sie dann auch, und sie ist doch kaum sechzehn –, da habe ich ihn in meinen Kohlenstall gesperrt, weil ich mit dem Schulzen Gottschalk seinetwegen sprechen wollte. Aber am Morgen war er weg, und wer ihn rausgelassen hat, dasweiß ich auch, denn gleich hinterher verschwand die Marie mit den Kindern. Den Streich hat der ausgebrütet, da fresse ich ein Pfund Arsen, Herr Amtsgerichtsrat …«
Aber der Amtsgerichtsrat lag fassungslos im Stuhl und stöhnte: »Entweder sind Sie verrückt geworden, Schlieker, mir solchen Kohl vorzusetzen, oder aber … Aber nein, soweit kenne ich nun doch die Rosemarie Thürke, alter Kerl und die –! Es ist ausgeschlossen!«
»Muß das Kind es denn wissen?« fragte Schlieker sanft und eindringlich. »Wenn er es man weiß. Er tut ja so mild und väterlich. Aber ein ganz Gerissener ist er, meinen entsprungenen Knecht, den blöden Philipp Münzer, hat er auch mit sich fortgenommen …«
»Jetzt machen Sie Schluß, Schlieker!« rief der Amtsgerichtsrat wütend. »Was hat Ihr blöder Knecht damit zu tun –?!«
»Das hat er damit zu tun, daß er doch der einzige ist, der die Berliner Wohnung von dem alten Kerl kennt. In Berlin bei ihm ist er gewesen, da fragen Sie mal den Herrn Gneis.«
»Es muß etwas dran sein«, murmelte der Amtsgerichtsrat. »Dies denkt sich keiner aus. Thode, Gendarm Gneis soll sofort zu mir kommen. Und Sie gehen dann zu Kaufmann Mühlenfeldt und fragen nach, ob sich sein Mündel Thürke hat sehen lassen. Eventuell mit einem alten Mann. Und dann radeln Sie zu Frau von Wanzka und fragen dasselbe. Natürlich – wenn Sie die Thürke sehen oder den alten Kerl, sofort mitbringen!«
»Zu Befehl, Herr Amtsgerichtsrat!«
Die Tür klappte, und Justizwachtmeister Thode Brummig war weg.
»Und nun hören Sie, Schlieker«, sagte der Amtsgerichtsrat Schulz in ganz anderm Tone zu seinem Gefangenen. »Daß Sie ein schlechter Kerl sind, das wissen wir beide, davon wollen wir jetzt nicht reden …«
»Herr Amtsgerichtsrat …«, sagte Schlieker wütend.
»Ruhe!« schrie der Amtsgerichtsrat mit einem letzten Anfall von Schreierei. »Und ob Sie aus der Sache mit den nicht abgelieferten Pflegekindern sauber fortkommen, das weiß ich noch nicht. Was Sie mir da erzählt haben, kann sein und kann nicht sein – das werden wir bald heraus haben. Wenn aber was Wahres dran ist an der andern Geschichte von dem alten Kerl, dann müssen Sie jetzt ohne Hintergedanken und ohne Lüge aussagen, sonst lernen Sie mich kennen, Schlieker, wie Sie mich noch nie kennengelernt haben!«
»Ja doch, Herr Amtsgerichtsrat!« beteuerte Schlieker.
»Denn ich kann alles vertragen in meinem Bezirk, und meinethalben auch eine Messerstecherei beim Tanzvergnügen, aber so was mit altem Kerl und halbem Kind, das will ich nicht haben bei mir, Schlieker, verstanden?!«
»Gewiß doch, Herr Amtsgerichtsrat! Wenn sie ihn bloß nicht wieder aus meinem Kohlenstall herausgelassen hätte! Vielleicht ist sie doch kein bloßes Kind mehr –?«
»Wie hat der Mann ausgesehen, Schlieker? Beschreiben Sie ihn mir mal ganz genau …«
Drei Stunden später, grade um die Mittagszeit, da sie um ihre Suppentöpfe saßen, kehrte Päule Schlieker, der Fremdling aus Biestow, zurück zu den Ureinwohnern von Unsadel. Er war in allerbester Stimmung, denn dem eingebildeten Zwerg, dem Schulz, hatte er mit seiner Anzeige schön eingeheizt.
Entführung einer Minderjährigen schien zweifelsfrei vorzuliegen – und das war es, was dem Amtsgerichtsrat Schulz den Kopf so heiß gemacht hatte. Denn Herr Schulz war ein völlig gesunder, ein säuberlicher Mann und hatte darum einen sehr kräftigen Ekel vor allem Unsauberen und Unreinen.
Jetzt schon, ohne ihn gesehen zu haben, hatte er einenrichtigen Haß auf den alten Kerl, und wenn Gendarm Gneis zehnmal sagte: »Das trau ich dem nicht zu« – der Amtsgerichtsrat traute es ihm zu. Es gab genug Verdächtiges, von der geheimnisvollen Verbindung mit dem entlaufenen Knecht an bis zum spurlosen Verschwinden des Kindes.
Päule Schlieker war eine wichtige, ja,
Weitere Kostenlose Bücher