Altes Herz geht auf die Reise - Roman
dann besinnt er sich, er steht langsam auf, setzt die Lampe ab und geht an den Schrank, aus dem er eine Flasche Korn nimmt. Er trinkt einen großen Schluck aus der Flasche, schüttelt sich und stellt sie zurück.
Er steht nachsinnend, dann fängt der Alkohol an zu wirken, er macht ihn wärmer, entschlußfähiger. Schlieker faßt rasch die Lampe und geht in Maries Zimmer.
Weit offen, schwarz gähnt die Luke, er hockt daneben und nimmt den Strick, mit dem er die Krampe verschnürt hatte: der Strick ist zerschnitten!
Dies macht vieles klar, nie hätte Mali einen Kälberstrick zerschnitten, sie ist noch sparsamer als er, sie hätte ihn aufgeknotet – und dauerte es auch eine Viertelstunde … Von andern ist der Gaubengel befreit worden, sie hat sich nicht beschwatzen lassen, vielleicht ist sie überwältigt worden? Wo ist sie?
Er hockt da, an der offenen Luke, die Lampe neben sich auf der Erde, er schaut auf den zerschnittenen Strick mit solch angespannter Aufmerksamkeit, als bedeute er ihm mehr als ein verdorbener Kälberstrick. Er bedeutete ihm ja auch mehr, er ist sogar mehr noch als Zeichen für eine verspielte Karte, mit ihm wurden seine Pläne, seine Hoffnungen zerschnitten!
Und Mali –?
Von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, nimmt er die Lampe, beugt sich über die Lukenöffnung, leuchtet in den Keller – aber im Keller liegt keine Mali, nur die Runkeln und Wruken sind darin.
Er steht zögernd im Zimmer, er ist sonst nie um Einfälleverlegen gewesen, aber jetzt ist alles tot in seinem Hirn, nur ein schmerzendes, dröhnendes Brausen – seit dem Aufprall auf die Dorfstraße. Die Schmerzen werden wieder stärker, der Alkohol hat sie für einen Augenblick zur Ruhe gebracht, jetzt erwachen sie mit doppelter Gewalt. Er müßte sich hinlegen – aber kann er das? Wo ist Mali? Ihr ist Gewalt angetan? Und wo hat er sie dann zu suchen?
Unentschlossenheit, quälende, marternde Unentschlossenheit – er steht immer noch unter der Tür und weiß nicht wohin. Er sieht ratlos um sich – und da sieht er wirklich etwas: den offenstehenden Schrank!
Er macht einen raschen Schritt – siehe! – der Schrank ist leer, säuberlich ausgeräumt. Die haben ihre Wäsche also doch bekommen!
Jetzt ist zu den Schmerzen auch die Wut wieder da, die grimmige Wut auf Gau, der ihm die Marie gestohlen hat, die Wäsche, die Kleider, alles … und ihn dann noch auf die Straße warf!
Hat er einen Augenblick zweifeln können, angesichts der Haltung von Wilhelm Gau, ob er es auch wirklich war, jetzt zweifelt er nicht mehr!
Er ist schon wieder wild, er vergißt Verletzungen und Frau, er möchte hinaus, auf sein Rad, nach Kriwitz …!
Rasch geht er aus der Stube in die Küche und bleibt wieder stehen. Vorhin roch er schon etwas, und jetzt riecht er es noch stärker: die Kartoffeln auf dem Feuer, die Schweinekartoffeln, sind angebrannt und stinken.
Er rückt sie mechanisch zur Seite, will weiter, als ihm plötzlich einfällt, daß diese angebrannten Kartoffeln ja ungefütterte Schweine bedeuten. So sind die Schweine nicht gefüttert! Sind die Kühe gemolken? Nein, es steht hier noch keine Magermilch, aber die Melkeimer sind fort.
Er rennt, so gut er kann, über den Hof, reißt den Stecker aus der Stalltür und ruft in den stockdunklen Stall: »Mali!«
Nichts. Stille. Totenstille …
Dann rasselt eine Kuhkette, eine Kuh brüllt hungrig, es ist die Bleß …
Wieder zurück ins Haus, die Stallaterne her, er brennt sie an, eilt zurück, tritt in den Stall …
Die beiden Kühe wenden sich ihm leise muhend zu, die beiden Pferdchen wiehern, in einem Kuhstand liegt neben dem umgefallenen Melkschemel der umgefallene Melkeimer …
Die Kuh steht halb auf dem Gang, sie ist zurückgetreten, soweit die Kette es zuließ. Er ruft sie an, aber sie will nicht in den Stand. Sie scheut vor etwas, und als er nach vorne leuchtet, liegt da, unter dem Fenster, halb in der Krippe, seine Frau …
Er steht bewegungslos, nur seine Lippen zittern, er weiß, was dieser Schaum vor dem Mund, diese blaurote Farbe, dies Röcheln bedeuten …
Er hat es zwei-, dreimal gesehen, ehe sie heirateten. Sie hat einen Anfall gehabt … Epilepsie …
Mit ihrer Heirat ging es fort, und nun ist es wieder da!
Stück für Stück, Schritt für Schritt, Sprosse um Sprosse abwärts, zurück in den Dreck …
Nur ein Mädchen von kaum sechzehn Jahren und ein alter, halb schwachsinniger Mann …
Stück für Stück, Schritt für Schritt … Sprosse um Sprosse … hinab …
Fast
Weitere Kostenlose Bücher